Dieser Artikel zeigt Handlungsoptionen des Aktionariats auf. Konkret: Das Einreichen umfangreicher beschlussfähiger Vorlagen zu relevanten und für den Konzern wesentlichen ESG-Themen auf Hauptversammlungen von börsengelisteten Unternehmen.

Globalisierung und Nationalstaat

Zu der Debatte über gesellschaftliche Verantwortung von Unternehmen äusserte sich der Nobelpreisträger Milton Friedman, einer der bekannten Verfechter des «Laissez-fair»-Liberalismus, mit dem gleichwohl bekannten als auch provokanten Satz:« The Social Responsibility of Business is to increase its Profits». Laut Friedman obliegt es dem Staat alleinig, Unternehmen die notwendigen gesetzlichen und regulatorischen Rahmenbedingungen vorzugeben, damit diese sich an sozial wünschenswerte Spielregeln halten.

Doch welchen Einfluss haben nationale oder europäische Gesetzgebungen auf international agierende Wirtschaftsakteure, die eine Flexibilität und Agilität besitzen, in einer globalisierten Welt stets standortbezogene Aktivitäten dort auszuüben, wo die Gesetzgebung finanziell opportun erscheint? Wie harmonieren globale, ökonomische Interessen von transnationalen Konzernen mit den nationalen- und international verabschiedeten Zielen von Klima- und Ressourcenschutz tatsächlich?

Dieser Artikel legt eine Perspektive dar, welche Handlungsoptionen die Investorin und der Investor durch die Einreichung umfangreicher beschlussfähiger Vorlagen zu relevanten und für den Konzern wesentlichen Nachhaltigkeitsthemen (sog. «ESG-Resolutions») auf Hauptversammlungen von börsengelisteten Unternehmen haben können. Das gilt besonders für Umwelt, -Sozial- und Unternehmensführungsthemen, die über gesetzliche Rahmenbedingungen nicht klar definiert sind und die durch die negativen Auswirkungen auf die Nachhaltigkeitsbilanz von Unternehmen ein Risiko oder auch Chancen für ethisch-nachhaltige Investorinnen und Investoren aufweisen, als auch eine Relevanz für die Gesellschaft haben. Unternehmenseigentümer sind eine wichtige Instanz von Verantwortungsträgern, die entgegen der globalen Unvernunft, wenn es um Umweltschutz geht, trotz fehlender Gesetzgebungen eigene Partizipations- und Einflussmöglichkeiten haben. Dabei veranschaulicht der Artikel, wie Anlageverwalter als auch Investorinnen und Investoren vermehrt von diesem Instrument in der diesjährigen Hauptversammlungssaison Gebrauch gemacht haben und welche Gesetzgebungsinitiative, wenig überraschend von republikanischen US-Senatoren im Frühling diesen Jahres vorgeschlagen wurde, um die Aktionärsdemokratie im Zeitalter passiver Investment-Produkte künftig zu schützen und weiter zu fördern. 

Nachhaltigkeit politisch verordnen?

Die Möglichkeiten, auf Unternehmen Einfluss zu nehmen, sind vielseitig. Das Recht kennt hier bekanntlich drei Mittel zur Einflussnahme. Das stärkste Mittel ist das Verbot, wie es die EU zum Beispiel anhand von Plastiktüten getan hat. Anders verläuft es bei dem Preissignal, bei dem die Tüte etwas kostet, so wird die Regulierung durchgesetzt. Bei der sanften Steuerung wird der Konsument als Akteur mit einbezogen, indem er beispielsweise über die Möglichkeiten zur Verlängerung einer Produktlebensdauer informiert wird, in der Hoffnung, seine Konsumentscheidung und Nutzungsform eines Produktes nachhaltig zu beeinflussen.

Mit der Anfang 2022 in Kraft getretenen Taxonomie-Verordnung der Europäischen Union hingegen werden “grüne” oder “nachhaltige” Wirtschaftsaktivitäten innerhalb der EU gesetzlich definiert, mit dem Ziel, Finanzströme in „nachhaltige Tätigkeiten“ zu lenken und somit einen Beitrag zur Erreichung des „European Green Deals“ zu leisten. Unter Anwendung der EU-Taxonomie soll anhand von sechs Umweltzielen prüfbar sein, wann und wie ein Unternehmen nachhaltig oder umweltfreundlich wirtschaftet. Dabei steht im Zentrum die ungeklärte Frage, welchen Einfluss die Taxonomie auf die Kreditvergabe und der möglichen veränderten Eigenkapitalunterlegung von „Taxonomie konformen“ vs. „nicht Taxonomie konformen“ Wirtschaftsaktivitäten zukünftig haben wird. Die Entwicklung der Taxonomie und Definitionen einer als nachhaltig eingestuften wirtschaftlichen Tätigkeit wurden von der sog. „Technical Expert Group“ mitgestaltet, eine von der EU- Kommission ausgewählten und nicht demokratisch legitimierte Expertengruppe. Diese setzt sich unter anderem aus Vertretern von 33 Organisationen zusammen, aus Bereichen wie: Versicherungen, Banken, Medienkonzernen oder NGOs.

Der durch die EU-Kommission beauftrage wissenschaftliche Dienst (JRC) veröffentlichte erste Folgeabschätzungen zum Green Deal für die Agrarproduktion und die Einkommen der Bauern. Der Bericht zeigt bereits unvorteilhafte Entwicklungen der politischen Lenkung für den europäischen Markt. Die tatsächliche Reduzierung an Treibhausgasemissionen würden im europäischen Raum zwar erreicht werden, dabei ist jedoch festzustellen, dass dies vor Allem durch die Änderung der Produktionsmengen und die Produktionsverlagerung ins nicht europäische Ausland zu Stande käme. 

Innerhalb komplexer globaler Wertschöpfungsketten ist es eine gängige Praxis, Produktionen von Konzernen in Regionen mit geringen Sozial- und Umweltstandards zu legen. Transnational tätige Konzerne nutzen dabei als Lead-Unternehmen ihre superiore Position im Welthandel. Dies passiert oft zu Lasten von ökologischen (E) und sozialen (S) Faktoren entlang der Lieferkette. Zugleich sind die Handelsbeziehungen zwischen diesen Lead-Unternehmen und den Produktionsstätten oder Subunternehmen von Spannungen geprägt, denn die Marktmechanismen drängen Entwicklungsländer in einen brutalen Konkurrenzkampf innerhalb arbeitsintensiver, niedrig technologischer, wenig kapitalintensiver Produktionen mit geringer Einkommensschöpfung, deren Produktionsstandorte dadurch meist einfach austauschbar sind und schnell gegeneinander ausgespielt werden können. Ein mögliches zukünftig verabschiedetes europäisches Lieferkettengesetz analog zu dem ab 1. Januar 2023 in Deutschland in Kraft tretendem Lieferkettenstandortgesetz (LkSG) könnte demnach auf diesem Pfad der zentralistisch geplanten Transformation zu mehr Nachhaltigkeit wenigstens eine sinnvolle, wenn nicht gar notwendige Ergänzung darstellen. 

Mitgestalter statt zentraler Autorität

Nachhaltigkeitsthemen sind in vielen Bereichen geprägt von komplexen Ursachen- Wirkungsmechanismen und Abwägungen, die eingebettet in individuelle Unternehmensausrichtungen, unterschiedliche Entscheidungen fordern. Nicht selten ist man in der Debatte, Prozesse in der Wertschöpfungskette nachhaltiger zu gestalten, mit Dilemmata konfrontiert: So besteht erfahrungsgemäss häufig bei produzierenden Unternehmen das Dilemma zwischen Energieeffizienz und Ressourcenschutz oder das Dilemma des Zielkonflikts zwischen sozialen und ökologischen Risiken. Das Wagnis einer zentralen Definition von dem, was nachhaltig ist und was nicht, besteht somit nicht nur darin, dass ein enormer bürokratischer Apparat von Nöten wird, sondern auch darin, dass ein kritischer Diskurs innerhalb Organisationen und relevanten Stakeholdern über das, was eine nachhaltige Entwicklung auszeichnet, eingeschränkt wird. Denn eine anregende, kreative Auseinandersetzung ist dort, wo feste Regeln und technische Standards über falsch und richtig bestehen, nicht mehr gefragt und gefördert.

Mit ESG-Aktionärsanträgen gegen Marktversagen vorgehen

Während das Einreichen beschlussfähiger Gegenstände auf der Tagesordnung der Hauptversammlungen großer Konzerne teilweise vielen nationalen Unterschieden und Barrieren obliegt, entdecken immer mehr Investorinnen und Investoren das Instrument für sich und versuchen damit die Macht der Aktionärsdemokratie zu ergreifen. Somit gab es gemäss dem US-Dienstleister Georgeson auf den diesjährigen Hauptversammlungen der Unternehmen, die in dem US-amerikanischen Index Russell 3000 enthalten sind, ein Rekordvolumen an Anträgen zu Umwelt,-Sozial- und Governance-Themen (ESG) über die abgestimmt worden ist. In dem veröffentlichten Bericht „An early Look at 2022 Proxy Season“ zeigt der Aktionärsdienstleister, dass Aktionärinnen und Aktionäre zwischen dem 1. Juli 2021 und dem 16. Mai 2022 924 Aktionärsvorschläge bei Unternehmen eingereicht haben, verglichen mit nur 837 in der Saison 2021 und 754 im Jahr 2020.

Der Bericht zeigt hingegen auch, dass die Zustimmung der Aktionäre für die Vorschläge, die sich speziell auf Umwelt- und Sozialfragen beziehen (E & S), über die in diesem Jahr bisher abgestimmt wurden, deutlich gedämpfter war. Zum Beispiel wurden Umweltanträge bei Finanzkonzernen, die forderten, die Finanzierung von Projekten mit fossilen Brennstoffen einzustellen, allesamt abgelehnt. Bis dato konnten 14 solcher Anträge bei 12 US-Finanzkonzernen beobachtet werden. Die meisten Anträge in dieser Kategorie (13 von 14) beziehen sich auf das „Net-Zero by 2050“- Ziel der Internationalen Energieagentur (IEA). Dieses sieht vor, die weltweit emittierten Kohlenstoffdioxid-Emissionen in der Summe bis 2050 auf Netto-Null zu reduzieren. In diesem Zusammenhang fordern die Anträge, dass die betreffenden Unternehmen von Finanzierungs- oder Zeichnungstätigkeiten Abstand nehmen, welche mit dem Szenario unvereinbar sind. In der Praxis fordern die Anträge effektiv ein Ende der Finanzierung oder Übernahme neuer Projekte für fossile Brennstoffe. Bis diesen Sommer konnten Abstimmungsergebnisse für sieben solcher Vorschläge beobachtet werden. Keiner der sieben hat eine Unterstützung von mehr als 12,8% des Aktionariats erhalten. Dieses Beispiel veranschaulicht die Wichtigkeit von demokratisch gebildeten Mehrheiten im Aktionariat, die durch die Stimmen der Investorinnen und Investoren gebildet werden können und zeigt ebenso die Macht von Mittelmännern wie z.B. Stimmrechtsvertretern, die heutzutage oftmals von passiven Investment-Produkten wie z.B. ETF-Anbietern beauftragt werden. 

Es kommt aufgrund des Abstimmungsverhaltens der Stimmrechtsvertreter und Mittelmänner, welches nicht repräsentativ für jenes der tatsächlichen Investorinnen und Investoren angesehen werden kann, wenig überraschend, dass der Republikanische US-Senator Dan Sullivan aus Alaska Mitte Mai diesen Jahres eine Gesetzesinitiative präsentiert hat, die Anbieter von Investment-Produkten erstmalig gesetzlich verpflichten soll, Investorinnen und Investoren in das Abstimmungsverhalten miteinzubeziehen. Durch den sog. „INDEX Act“ soll somit das Stimmrecht den tatsächlichen Aktionärinnen und Aktionären der Konzerne zurückgeben werden. Dadurch würde die Demokratisierung von Investitionen gefördert und die Konsolidierung der Stimmrechte an Unternehmen bekämpft werden. Es ist jedoch aufgrund der stockenden parteiübergreifenden Zusammenarbeit höchst unwahrscheinlich, dass die Gesetzgebung in absehbarer Zeit den Weg durch das Repräsentantenhaus und den US-Senat finden wird. Bis eine ähnliche Gesetzinitiative auch im europäischen Kontext aufgenommen werden könnte, obliegt die Verantwortung den Investorinnen und Investoren, Eigeninitiative zu ergreifen, indem beispielsweise solche Kollektivanlagen identifiziert werden, deren Initiatoren die Stimmrechte mit der gebührenden Sorgfalt und im Einklang mit den eigenen Werthaltungen ausüben. 

Fazit

Unternehmen haben durch ihr wirtschaftliches Handeln und dessen Folgen auf Menschen und Natur einen hohen Einfluss über den Erfolg oder Misserfolg unseres Gemeinwesens im 21. Jahrhundert. Nutzen Sie daher als Aktionariat Ihren positiven Einfluss auf die Unternehmen. Die Fragen nach den Bedingungen und Voraussetzungen einer intakten Aktionärsdemokratie bleiben dabei weiterhin je nach dem Domizil des jeweiligen Konzerns und den daraus resultierenden länderspezifischen Rahmenbedingungen kontrovers, aber nicht weniger substanziell.

Autorin: Luisa Lange ist Lead Sustainability Management & Partner bei Ethius Invest 
 

Anlageprodukte:

Ethius Global Impact (DE000A2QCXY8 / DE000A2QCXZ5 / DE000A2QCX03 / DE000A2QCX11) 
 

Die Ethius Invest Schweiz ist ein ethisch-nachhaltiger Vermögensverwalter und Initiator des Ethius Global Impact Fonds. Die Anlagephilosophie verfolgt das Prinzip eines konsequenten Nachhaltigkeitsansatzes. Der Nachhaltigkeitsanspruch stellt keine Ergänzung, sondern den Grundgedanken des Unternehmens dar.

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