Weitere Zinsanhebungen sind möglich, wobei die steigenden Renditen die europäische Duration in unseren Augen zunehmend attraktiv machen. Eine Analyse von Konstantin Veit, CFA, Portfoliomanager und Leiter European Rates- und Short-Term Desk.

Die Europäische Zentralbank (EZB) beließ die Leitzinsen im Oktober unverändert bei vier Prozent, womit sie eine Serie von zehn Zinserhöhungen über einen Zeitraum von 14 Monaten abschloss, die den Leitzins um 450 Basispunkte in die Höhe trieb. Obgleich es noch weitere Anhebungen geben könnte, hat sich der Fokus inzwischen darauf verlagert, wann die europäischen Notenbanker ihre erste Zinssenkung vornehmen könnten. Wir sind nach wie vor skeptisch, ob die EZB ihre Zinsen so bald senken wird, wie der Markt es erwartet.

Trotz der verhaltenen konjunkturellen Dynamik im Euroraum sind die Arbeitsmärkte noch immer robust, und die Basisinflation scheint hartnäckig. Demgemäß weisen die aktuellen vierteljährlichen EZB-Prognosen ein deutlich schwächeres kurzfristiges Wachstum aus, als noch zu Jahresbeginn erwartet wurde, wohingegen der Preisauftrieb mit 2,1 Prozent im Jahr 2025 die Zielmarke nach wie vor überschreitet. Wie sich die Inflationszahlen auf mittlere Sicht entwickeln werden, ist nach wie vor mit erheblicher Unsicherheit behaftet.

Nach Angaben von Eurostat hat sich die Gesamtinflation der Eurozone, die im September bei 4,3 Prozent lag, seit ihrem zweistelligen Spitzenstand vom Oktober 2022 mehr als halbiert. Zugleich bleibt der zugrunde liegende Preisdruck erhöht, was vor allem auf inländische Faktoren zurückzuführen ist. Während die Inflation insgesamt nachlässt, könnte eine weitere Abschwächung am Arbeitsmarkt und in der Gesamtwirtschaft vonnöten sein, damit die Teuerungsrate zum Zwei-Prozent-Ziel der Notenbanker zurückkehrt.

Im Juli hat die EZB ihre Reinvestitionen im Rahmen des Programms zum Ankauf von Vermögenswerten (APP) eingestellt. Auch wenn die Oktober-Sitzung diesbezüglich keine Entscheidung enthielt, dürften die Notenbanker bestrebt sein, ihre Reinvestitionen im Rahmen des Pandemie-Notfallprogramms (PEPP) früher zu kürzen, als die derzeitigen Prognosen es vermuten lassen. Wenn man den erhöhten Emissionsbedarf bedenkt, schwächt dies die relativen technischen Faktoren ab, die für Staatsanleihen sprechen, was für einen Anstieg der Laufzeitprämien sprechen könnte.

Was die Anlagekonsequenzen betrifft, könnten Zinssenkungen noch länger ausbleiben; zugleich gibt die restriktive Geldpolitik in Kombination mit der Erwartung eines höheren Angebots, wenn die Zentralbanken ihre Bilanzen verschlanken, den Renditen im Vergleich zu den historischen Niveaus und anderen Anlageklassen Auftrieb. Dieser „Renditepuffer“ könnte Anlegern eine attraktive Gelegenheit bieten, verhältnismäßig robuste Portfolios aufzubauen, ohne hohe Risiken einzugehen. In unseren Augen gewinnt die europäische Duration an Attraktivität, und wir erwarten, dass europäische Zinsswaps auch in Zukunft besser abschneiden als Staatsanleihen aus Kernländern, wohingegen sich das lange Ende der Zinskurven unterdurchschnittlich entwickeln dürfte.

Zinssätze: Die Inflation verharrt trotz der Konjunkturschwäche über dem Zielwert

Nach Angaben der EZB sollte ein Einlagensatz zwischen etwa 3,75 Prozent und 4,00 Prozent die Inflation mittelfristig zurück zu ihrer Zielmarke befördern – sofern er lange genug beibehalten wird. Zugleich betonten die Entscheidungsträger ihren datenabhängigen Meeting-by-Meeting-Ansatz, der auf einer regelmäßigen Beurteilung der Inflationsaussichten, der Dynamik der Basisinflation und der Stärke der geldpolitischen Transmission beruht.

In unmittelbarer Folge der EZB-Sitzung preisten die Märkte lediglich rund zwei Basispunkte an Zinserhöhungen für Dezember ein; die ersten Zinssenkungen werden indessen in der ersten Hälfte des nächsten Jahres erwartet. Wir halten den auf den Finanzmärkten eingepreisten Spitzenzins für angemessen, sind angesichts der hartnäckigeren Inflationsdynamik aber nach wie vor skeptisch, ob die EZB ihre Zinsen so bald wieder senken wird. In unserem Basisszenario erscheinen uns zwei Zinssenkungen in der zweiten Jahreshälfte 2024 als plausibel.

Die für September veröffentlichten Daten zur Verbraucherpreisinflation im Euroraum enthielten auch erfreuliche Neuigkeiten. Denn während die Preissteigerungsrate weiterhin über dem Zielniveau verharrt, bewegt sich die Kerninflation in die richtige Richtung. Auf Jahressicht ging die Gesamtinflation von 5,2 Prozent im August auf 4,3 Prozent zurück, während die Kerninflation von 5,3 Prozent im August auf 4,5 Prozent fiel, womit beide Werte unter dem Konsens lagen. In den letzten drei Monaten belief sich die durchschnittliche Kerninflation auf 0,26 Prozent im Monatsvergleich bzw. auf rund drei Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum.

Hinzu kommt, dass der Arbeitsmarkt zwar angespannt bleibt, zugleich aber erste Anzeichen einer Abkühlung zeigt. Das Beschäftigungswachstum hat sich verlangsamt, und die Frühindikatoren deuten auf eine weitere Mäßigung hin. Außerdem suggerieren gewisse Lohnindikatoren, dass der Lohndruck mit der rückläufigen Gesamtinflation allmählich nachlässt. Eine Verlangsamung des Lohnwachstums ist wichtig, um eine nachhaltige Rückkehr der Inflation auf zwei Prozent zu ermöglichen. Von entscheidender Bedeutung werden demnach Informationen zu den Tarifabschlüssen für 2024 sein, wobei viele Länder diese erst im nächsten Frühjahr veröffentlichen.

Der zusammengesetzte Einkaufsmanagerindex für die Eurozone stieg im September leicht auf 47,2 Zähler, bleibt aber schwach, womit er im Einklang mit einem leicht negativen annualisierten Wachstum von etwa -1,0 Prozent steht. Alles in allem wird das Bild von einem stagnierenden Wachstum und einem sich verlangsamenden, aber weiter über dem Zielwert liegenden Preisauftrieb geprägt.

EZB-Bilanz: Keine Änderungen im Oktober, der weitere Verlauf sollte aber im Blick behalten werden

Die EZB hielt bei der Oktober-Sitzung an ihrer bisherigen Bilanzprognose fest und beabsichtigt unverändert, frei werdende Mittel aus dem PEPP-Programm bis mindestens Ende 2024 neu anzulegen. Flexible Reinvestitionen der PEPP-Gelder sind nach wie vor der erste Schutzmechanismus gegen das Fragmentierungsrisiko – also die Möglichkeit, dass die Renditen verschiedener Staatsanleihen aus dem Euroraum unterschiedlich auf die EZB-Politik reagieren, was die Märkte destabilisieren könnte.

Die Unsicherheit rund um die Reform der EU-Haushaltsregeln, der jüngste Renditeanstieg, insbesondere am langen Ende der Kurve, und die sich ausweitenden Spreads von Euro-Staatsanleihen hatten die Wahrscheinlichkeit verringert, dass bei der Oktober-Sitzung wichtige Entscheidungen getroffen werden. Gleichwohl glauben wir, dass die Währungshüter eine frühere Kürzung der PEPP-Reinvestitionen anvisieren, als die aktuellen Prognosen es vermuten lassen, da die Inflation die Zielmarke noch immer überschreitet und pandemiebezogene Belange weniger relevant sind.

Wir gehen nicht davon aus, dass die Notenbanker Verkäufe ihrer Anleihenbestände kategorisch ausschließen; gleichwohl dürfte der Fokus auf eine schrittweise und geordnet passive Verringerung der Wiederanlagen gerichtet bleiben. Die Wiederanlagepolitik der EZB wird auch von der Ausgestaltung des neuen operativen Rahmens zur Steuerung der kurzfristigen Zinssätze beeinflusst werden, der die Größe eines strukturellen Anleihenportfolios mit einschließt. Die EZB plant derzeit, diese Überprüfung bis zum Frühjahr 2024 abzuschließen.

Autor:
Konstantin Veit: Portfoliomanager, Leiter European Rates- und Short-Term Desks, CFA

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