Pflanzliche Ernährung könnte bei der Lösung ökologischer und sozialer Probleme helfen. Unternehmen mit solchen Geschäftsmodellen müssten daher hofiert werden. So einfach ist es jedoch nicht – auch nicht für nachhaltig ausgerichtete Investierende.
Oatly mit Sitz im schwedischen Malmö ist ein solches Unternehmen. Es bietet ausschließlich Produkte an, die frei von tierischen Stoffen sind. Dazu zählen Milch-, Sahne- und Jogurt-Ersatzprodukte, Brotaufstriche und Eis. Die Produktidee, die wesentlich auf Hafer basiert, entwickelte Oatly-Gründer Rickard Öste in den achtziger Jahren. Das Unternehmen rief er 1994 ins Leben. Seit 2001 gibt es die Marke Oatly. Sie ist heute international bekannt und gilt bei vielen als Hafermilch-Marktführer.
Öffentliche Aufmerksamkeit erhielt das Unternehmen in den letzten Jahren allerdings auch aus Gründen, die es als weniger schmeichelhaft empfunden haben dürfte. Insbesondere der Einstieg des Investors Blackstone im Jahr 2020 und der dramatische Kursabsturz nach dem zunächst sehr gut verlaufenden Börsengang 2021 riefen ein breites Medienecho hervor.
Illustre Investorenrunde
Oatly wollte und will wachsen und holte sich daher nach und nach Investoren an Board, von denen Oatly selbst als wichtige Verlinvest, das Staatsunternehmen China Resources und eben Blackstone benennt. Während Verlinvest der Ruf eines langfristig orientierten Investors vorauseilt, da es auf die Familie der belgischen Brauereigruppe Anheuser-Busch InBev zurückgeht, handelt es sich bei China Resources um einen Mischkonzern mit diversen Tochterunternehmen, darunter beispielsweise Chinas größter Zementhersteller China Resources Cement, der 2003 auf den als Steueroase berüchtigten Kayman Islands gegründet wurde.
Blackstone ist eine börsennotierte US-amerikanische Investmentgesellschaft und einer der weltgrößten Investoren in Bereichen wie Immobilien, Private Equity oder Hedgefonds. Das Unternehmen, aus dem der weltweit größte Vermögensverwalter BlackRock hervorgegangen ist, steht immer wieder in der Kritik, etwa wegen überhöhter Managergehälter, fossiler Investments und der Nähe von CEO Stephen Schwarzman zu Donald Trump. 2023 war in einem Blackstone-Unternehmen Kinderarbeit aufgedeckt worden. In Deutschland wurde der Investor 2004 im Zusammenhang mit dem Kauf von 31.000 Wohnungen als Heuschrecke kritisiert.
Aufrufe zum Oatly-Boykott nach Blackstone-Investition
Vor diesem Hintergrund überrascht es nicht, dass der Einstieg von Blackstone bei Oatly im Jahr 2020 bei vielen der oft ökologisch-progressiv eingestellten Kundinnen und Kunden zu einem Aufschrei führte. Zehn Prozent der Anteile hatte Blackstone übernommen – einige sagten, das schwedische Unternehmen habe zugleich seine Seele verkauft. Viele riefen in den sozialen Medien zu einem Boykott der Marke auf und kündigten an, Hafermilch nun von anderen Anbietern zu kaufen. Dies alles sollte Oatly allerdings nicht davon abhalten, kurze Zeit später einen Rekord-Börsengang hinzulegen.
Nachdem 2019 mit Beyond Meat der erste rein pflanzliche Lebensmittelhersteller an die Börse gegangen war, folgte Oatly im Mai 2021. Und dies war ein voller Erfolg. Der Hafermilch-Pionier spielte sich damit 1,2 Milliarden Euro ein. Investoren bewerteten Oatly mit rund 10 Milliarden US-Dollar. Der erste Aktienkurs übertraf den Ausgabepreis um 30 Prozent. Ein Traumstart, dem ein jäher Absturz folgen sollte – so jäh, dass ein Finanzjournalist sich 365 Tage später veranlasst sah, über ein Jubiläum des Grauens zu schreiben. Der Kurs war zwischenzeitlich von einem Höchststand von 29 US-Dollar auf nur noch 3,66 US-Dollar gefallen. Was war passiert?
„Aggressive Expansionspläne“ gingen nicht auf
Als einen Grund für den Absturz machte der Finanzjournalist ein schwieriges Marktumfeld, hohe Verluste und eine gesunkene Bruttomarge aus, was er auch mit gestiegenen Preisen und einem schärfer gewordenen Wettbewerb erklärte. An anderer Stelle hagelte es harte Kritik am Management. Die „aggressiven Expansionspläne” seien nicht aufgeganen, ein Großteil des Schadens selbst verursacht worden. Andere Analysten betonen externe Faktoren, wie den hohen Preis von Hafermilch im Vergleich zu normaler Milch und Biomilch und eine ungünstige Lage im Zusammenhang mit der damaligen Coronapandemie und den Auswirkungen auf die Lieferketten.
Einen wirklichen Aufwärtstrend – zumindest gemessen and den Börsenkursen – zeichnete sich seitdem bei Oatly nicht ab. Ganz Gegenteil: Der Kurs sank noch weiter bis zu einem Wert von unter einem US-Dollar. Dort verharrt steht das Unternehmen auch heute (Stand 18. April 2024).
Oatlys Führungsriege zeigt sich angesichts dieser Herausforderungen jedoch zuversichtlich und optimistisch. Daniel Ordonez, der das operative Geschäft leitet, und der Vorstandsvorsitzende Jean-Christophe Flatin versichern in einem Interview vom Frühjahr 2024, alles zu tun, um auf einen Weg zu profitablem Wachstum zu gelangen. Eine Produktpalette, wie sie Oatly anbietet, sei für ein nachhaltiges Lebensmittelsystem unerlässlich. Und um etwas bewirken zu können, brauche es langfristiges, nachhaltiges Wachstum – und dafür die finanziellen Mittel.
Subventionen und Steuervorteile für Kuhmilch
Gegen Preisvergleiche mit Kuhmilch allerdings verwehren sich die beiden. Schließlich liege der Preis für Kuhmilch in Deutschland unter den tatsächlichen Produktionskosten und funktioniere nur wegen hoher Subventionen und niedrigerer Mehrwertsteuer. Tatsächlich beläuft sich der Mehrwertsteuersatz in Deutschland bei Milch, das als Grundnahrungsmittel zählt, auf sieben Prozent. Bei Hafermilch, die als weiterverarbeitetes Produkt eingestuft wird, dagegen auf 19 Prozent. Und die Agrarsubventionen in Deutschland und der Europäischen Union werden seit Jahrzehnten kritisiert.
Unter anderem gehen von diesen Subventionen Fehlanreize für den Umwelt- und Klimaschutz aus. Unter Fachleuten besteht ein weitgehender Konsens, dass neben der Fleisch- gerade auch die Milchwirtschaft Umwelt und Klima in erheblichem Maß schadet. Der Flächenverbrauch ist immens. Jeweils fast 60 Prozent der weltweiten Produktion an Mais und Ölsaaten, wozu Soja zählt, gehen laut Fleischatlas der Heinrich-Böll-Stiftung für Tierfutter drauf. Bei Weizen sowie Wurzeln und Knollen sind es etwa ein Fünftel. Zugleich sind laut Welthungerhilfe aktuell 735 Millionen Menschen unterernährt. Weitere Nebenwirkungen der Fleisch- und Milchwirtschaft sind immense Wasserverbräuche und umweltschädliche Stickstoffzuflüsse, die weiteren Druck auf das Ernährungssystem ausüben.
Hafermilch verursacht wesentlich weniger Treibhausgasemissionen als Kuhmilch
Bei Hafer- und Kuhmilch ist der Vergleich zumindest mit Blick auf den Klimaschutz eindeutig. Während Letztere laut dem Umweltbundesamt zwischen 1,4 Kilogramm CO2-Äquivalente je Kilogramm verursacht, bewegen sich die Werte bei Hafermilch um die 0,3. Bei Fleisch, insbesondere Rindfleisch, liegen die Werte nochmals deutlich höher. Aber gerade Milch kann, abhängig von den jeweiligen Bedingungen, auch deutlich höhere Treibhausgasemissionen verursachen. Etwa dann, wenn es sich um Milch aus Weidewirtschaft auf trocken gelegten Mooren handelt.
Denn wie der Mooratlas der Heinrich-Böll-Stiftung ausführt, eigenen sich gerade Weiden auf Böden von entwässerten Mooren für Milchkühe, weil hier leistungstarke Gräser mit hohem Energiegehalt besonders gut gedeihen. Die Milch, die aus einer solchen Weidehaltung stammt, verursacht das Fünffache an Treibhausgasen. Den Mooren kommt allgemein betrachtet im Kampf gegen den Klimawandel eine zentrale Rolle zu. Zwar liegt der Landanteil entwässerter Moor weltweit unter einem halben Prozent, er verursacht aber etwa vier Prozent der menschengemachten Treibhausgasemissionen.
Wahre Preise bleiben Zukunftsmusik
Hafermilch ist somit im Vergleich zur Kuhmilch ganz offensichtlich im Nachteil: weniger Emissionen und Subventionen, höherer Preis und höhere Steuern. Um dieses Problem aus der Welt zu schaffen, gibt es die bereits sehr ausgereifte Idee der wahren Preise bzw. wahren Kosten: das so genannte True-Cost-Accounting. Wie das Bundeszentrum für Ernährung schreibt, müssten nach einem solchen Konzept Fleisch- und Wurstwaren im Vergleich zum aktuellen Preis dreimal so teuer sein. Die zweithöchsten Aufschläge wären für konventionell hergestellte Milchprodukte erforderlich und die niedrigsten für Bio-Lebensmittel pflanzlichen Ursprungs.
Für die Wissenschaft und weitere Fachleute mag die Sachlage klar sein. Die Schwierigkeit liegt aber in der politischen Umsetzung. Und wie mühselig es ist, hier zumindest kleine Trippelschritte in Richtung True-Cost-Accounting zu gehen, zeigt ein Beispiel aus der Fleischwirtschaft: Um Maßnahmen zum Tierwohl zu finanzieren, plädiert die bundesdeutsche Zukunftskommission Landwirtschaft für eine höhere Mehrwertsteuer auf Fleisch. Der Bauernverband aber stemmt sich laut einem Medienbericht vehement dagegen – mit offenem Ausgang.
Etiketten mit dem Klima-Footprint auf Oatly-Produkten
Daniel Ordonez und Jean-Christophe Flatin von Oatly ficht diese Sachlage nicht an, auch wenn sie sich klar für politische Maßnahmen, etwa ein verpflichtendes Klimalabel, aussprechen. Oatly hat einfach selbst begonnen und lässt seinen CO2-Fußabdruck von externen Fachleuten berechnen. 2023 führte der Haferdrink-Pionier in den USA Etiketten mit Klima-Footprint für seine Jogurts ein. Ob sich dies positiv auf die Umsatzzahlen auswirkt, bleibt abzuwarten. Aus Transparenzsicht ist es, sofern die Berechnungen stimmen, in jedem Fall ein Fortschritt.
Dass eine stärker pflanzlich ausgerichtete Ernährungsweise ein wesentlicher Beitrag ist, um unser Ernährungssystem mit den ökologischen Grenzen in Einklang zu bringen und genügend Lebensmittel für eine wachsende Weltbevölkerung bereitstellen zu können, führten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler beispielsweise in einem Paper aus, das 2020 im dem Journal nature sustainability veröffentlicht wurde. Es trägt den Titel Feeding ten billion people is possible within four terrestrial planetary boundaries und kommt zu dem Schluss, dass mit einer Änderung der Ernährung hin zu einem geringeren Anteil an tierischen Produkten in drei Szenarien jeweils deutlich mehr Menschen ernährt werden könnten.
In dem dritten Szenario, bei dem neben einer umgestellten Ernährung zudem Anbauflächen umverteilt, die Wasser- und Nährstoffbewirtschaftung verbessert sowie Lebensmittelabfälle drastisch reduziert würden, könnte sogar eine wachsende Weltbevölkerung ausreichend mit Lebensmitteln versorgt werden – bei gleichzeitiger Achtung der planetaren Grenzen. Aktuell leben auf der Erde ca. 8,1 Milliarden Menschen. Prognosen der Vereinten Nationen zufolge könnten bis 2060 über zehn Milliarden Menschen die Erde bevölkern.
Umstellung der Ernährung als heikle Angelegenheit
Die Wissenschaft kann leicht Maßnahmen vorschlagen. Gerade aber wenn es um persönliche Bereiche Konsumentscheidungen und Lebensstile geht, wird es oft heikel. Dies hat sich jüngst wieder gezeigt, als die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) ihre Empfehlungen zum Verzehr von tierischen Lebensmitteln aktualisierte. Sie schlägt als Orientierung maximal 400 Gramm Milchprodukte täglich und 300 Gramm Fleisch pro Woche vor, was im Vergleich zum vorherigen Stand einer Absenkung um die Hälfte entspricht.
Nicht nur Organisationen wie der Milchindustrieverband oder der Lebensmittelverband kritisierten die DGE-Empfehlungen, auch in den sozialen Medien machte sich bereits im Vorfeld der Veröffentlichung Empörung über diese “Verbote” breit, die – wohlgemerkt – gar keine sind. In der Folge berichteten einzelne Medien über das Thema in derartiger Weise, dass die auf Digitalisierung und den Umgang mit Desinformation und Hasskommentaren spezialisierte Journalistin Ingrid Brodnig dieses Beispiel eigens in einem kritischen Beitrag für die re:publica 2023 analysierte.
Konsummuster mit großem Beharrungsvermögen
Konsummuster lassen sich häufig nur über große Zeiträume hinweg ändern. Dass in den letzten Jahren die Anzahl der Menschen, die vegan oder vegetarisch leben, grosso modo zugenommen hat, kann als der Beginn eines sich möglicherweise sehr langsam vollziehenden Ernährungswandels betrachtet werden. Neue Ansätze, so scheint es gerade aktuell ganz besonders, müssen mit Rückschlägen klar kommen. Und dessen sind sich Daniel Ordonez und Jean-Christophe Flatin offensichtlich bewusst – ohne beim eigenen Anspruch Abstriche zu machen. So sagen sie im Interview klar und deutlich, dass sie von den DGE-Empfehlungen enttäuscht sind. Ihrer Meinung nach hätten diese viel weiter gehen müssen.
Vielleicht sind derartige Ereignisse für die beiden auch ein Antrieb, Oatlys Wachstumsweg nur umso unbeirrter weiterzuverfolgen. Und dafür auch Kompromisse in Kauf zu nehmen. Oder einen stärker philosophischen Zugang zu wählen. Denn angesprochen auf die Investoren China Resources und Blackstone erwidert Jean-Christoph Flatin: “Nachhaltigkeit soll für uns kein exklusiver Klub sein.”
Treue und Durchhaltevermögen könnten sich auszahlen
Nicht nur Oatly, auch der vegane Börsenkompagnion Beyond Meat muss mit Rückschlägen umgehen. So hat sich der Aktienkurs des Fleisch-Ersatzproduzenten seit dem Börsengang 2019 ebenfalls negativ entwickelt. Er erwirtschaftete Nettoverluste und musste zudem Mitarbeitende entlassen. Die beiden Unternehmen sind nicht nur Pioniere mit Blick auf ihre jeweiligen Geschäftsmodelle. Sie können auch als mutig angesehen werden. Denn sie arbeiten Widrigkeiten zum Trotz daraufhin, ein Nischenprodukt mit positiver ökologisch-sozialer Wirkung wirklich im Mainstream zu verankern.
Als ein kleiner Zwischenerfolg auf diesem Weg kann der Entscheid der Schweizerische Bundesbahnen (SBB) angesehen werden, die Produkte des Hafermilch-Pioniers in das Standard-Sortiment aufzunehmen. Weitere derartige Erfolge sind keineswegs auszuschließen. Treue zur Geschäftsidee und Durchhaltevermögen mit Blick auf den einmal eingeschlagenen Weg könnten sich für Oatly auszahlen – und ebenso für nachhaltig Investierende. Und zwar unabhängig davon, wann politisch ein True-Cost-Accounting umgesetzt werden kann.
Anlageprodukte:
Ethius Global Impact (DE000A2QCXY8 / DE000A2QCXZ5 / DE000A2QCX03 / DE000A2QCX11)
Die Ethius Invest Schweiz ist ein ethisch-nachhaltiger Vermögensverwalter und Initiator des Ethius Global Impact Fonds. Die Anlagephilosophie verfolgt das Prinzip eines konsequenten Nachhaltigkeitsansatzes. Der Nachhaltigkeitsanspruch stellt keine Ergänzung, sondern den Grundgedanken des Unternehmens dar.
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