Stephen Dover, Leiter des Franklin Templeton Institute, spricht in seinem Kommentar über den Aufschwung der europäischen Wirtschaft im Vergleich zu den USA, die Chancen von Investitionen in Europa und die Risiken eskalierender Handelskonflikte.

Die europäischen Volkswirtschaften und Märkte hinken den USA seit mehr als einem Jahrzehnt hinterher. Europa gilt nach gängiger Meinung als dauerhaft angeschlagen. Und jetzt, plötzlich, zieht Europa die Aufmerksamkeit auf sich. Seine Märkte übertrafen Anfang 2025 die der USA und anderer globaler Märkte. Könnte dies der Beginn der Wende sein? Könnte Europa auf längere Sicht die Oberhand behalten? Und sollten Investoren Europa erneut ins Auge fassen? Wir denken schon. Aber das ist mit Vorbehalten verbunden, von denen der wichtigste eine Eskalation der globalen Handelskriege wäre, die in einer erheblichen wirtschaftlichen Schwäche, vielleicht sogar einer Rezession, gipfeln würde.

Deutschland ändert seinen Kurs

Wir beginnen mit der Frage, warum Europa jetzt die Aufmerksamkeit der Investoren auf sich zieht. Der Hauptgrund ist die Hoffnung auf erhebliche fiskalische Anreize – vor allem für die Landesverteidigung und die Infrastruktur – und die Erwartung, dass dies das zyklische Wachstum und die Gewinnaussichten Europas ankurbeln wird.

Tatsächlich haben sich die Aussichten für das europäische Wachstum aufgehellt. Und das liegt daran, dass sowohl geld- als auch fiskalpolitische Anreize als doppelte Katalysatoren wirken. Die sinkende Inflation in den letzten zwei Jahren hat es der Europäischen Zentralbank ermöglicht, die Zinssätze seit 2024 sechsmal (jeweils um einen Viertelpunkt) zu senken. Und bald wird die große Finanzspritze wahrscheinlich in Form einer fiskalischen Lockerung kommen, sowohl von Deutschland als auch von der Europäischen Union (EU) im weiteren Sinne. Als Reaktion auf den innen- und außenpolitischen Druck hat die neue deutsche Regierungskoalition (Christlich Demokratische Union Deutschlands (CDU)/Christlich-Soziale Union in Bayern (CSU) und Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)) zusammen mit den Grünen ein Gesetz durch den Bundestag und den Bundesrat gebracht, das die in der deutschen Verfassung verankerte „Schuldenbremse“ ändert.

Durch die Änderung der Regeln für die Staatsverschuldung will die neue Koalitionsregierung einen beträchtlichen Spielraum schaffen, um die Ausgaben für die nationale Verteidigung und Sicherheit sowie für die öffentliche Infrastruktur zu erhöhen. Konkret hat die neue Bundesregierung zugesagt, in den kommenden Jahren 500 Milliarden Euro [entspricht satten 11,6 % des Bruttoinlandsprodukts (BIP)] für die nationale Verteidigung, Sicherheit, Infrastruktur und die Energiewende auszugeben.

Darüber hinaus sind Investitionsausgaben für die Verteidigung, die über 1 % des BIP liegen, dauerhaft von der „Schuldenbremse“ ausgenommen. Insgesamt werden Schätzungen zufolge rund 400 Milliarden Euro (9,3 % des BIP) für die nationale und europäische Verteidigung vorgesehen.1 Diese bereits jetzt erstaunlich hohe Summe an Haushaltsausgaben wird sich auf europäischer Ebene in etwa verdoppeln, da die EU neue Ausgaben in ähnlicher Höhe für militärische, verteidigungspolitische und nationale Sicherheitszwecke zugesagt hat.

Um dies in die richtige Perspektive zu rücken: Die geplanten neuen Ausgaben dürften alle fiskalischen Anreize der Nachkriegszeit auf beiden Seiten des Atlantiks in den Schatten stellen, mit Ausnahme dessen, was während der COVID-19-Pandemie geschah. Unserer Meinung nach kann man die historischen und wirtschaftlichen Auswirkungen dessen, was Europa möglicherweise bevorsteht, gar nicht hoch genug einschätzen. Dieser bahnbrechende Schritt Deutschlands unterstützt die Europäische Kommission, die die EU-Mitgliedstaaten dazu drängt, ihre Ausgabenregeln zu lockern, damit der Rest des Kontinents seine Investitionen in Verteidigung und Infrastruktur erhöhen kann.

Darüber hinaus schafft die finanzielle Unterstützung der EU Anreize für Investitionen in europäische Unternehmen, was die wachsende Erkenntnis widerspiegelt, dass die USA (und insbesondere die Trump-Regierung) zu einem weniger zuverlässigen militärischen Verbündeten geworden sind. Das Ergebnis wird eine neu belebte europäische Industrie sein, die kürzlich durch einen Wettbewerbsvorteil durch niedrigere Strompreise gestärkt wurde.2

Die Europäische Kommission hat außerdem den ReArm Europe Plan angekündigt, der den EU-Mitgliedern einen finanziellen Spielraum bietet, um ihre nationalen Verteidigungsausgaben um 1,5 % pro Jahr zu erhöhen, was 650 Milliarden Euro über vier Jahre entspricht. Er sieht auch eine neue Kreditfazilität in Höhe von weiteren 150 Milliarden Euro für Verteidigungsinvestitionen aus EU-Quellen vor.

Diese Initiativen werden, wenn sie umgesetzt werden, beträchtliche Aktivitäten im öffentlichen und privaten Sektor fördern. Dementsprechend haben verschiedene öffentliche und private Einrichtungen ihre realen BIP-Prognosen für Deutschland und Europa, insbesondere für 2026, deutlich nach oben korrigiert. So erwartet das Kieler Institut beispielsweise, dass ein deutscher Fiskalimpuls von mehr als 1 % des BIP das deutsche BIP-Wachstum von fast 0 % in diesem Jahr auf 1,5 % im nächsten Jahr anheben wird – die deutlichste Beschleunigung seit der Pandemie.3 Die Auswirkungen auf den Rest des Euroraums dürften das gesamteuropäische Wachstum bis 2026 um fast einen halben Prozentpunkt erhöhen. Im Gegensatz dazu wurden die Schätzungen für das BIP-Wachstum in den USA kürzlich aufgrund der stark gestiegenen wirtschaftspolitischen Unsicherheit in den USA (z. B. durch volatile Zollankündigungen und Entlassungen durch die Bundesregierung) nach unten korrigiert.

Europäische Gewinne und Bewertungen

Für Investoren sind die Aufwertungen des realen BIP-Wachstums in Europa von großer Bedeutung. Die Rentabilität ist stark zyklisch und verbessert sich mit zunehmender realer Aktivität. Bemerkenswert ist, dass die europäischen Gewinnschätzungen in absoluten Zahlen und im Vergleich zu den Vereinigten Staaten steigen. So wurden beispielsweise im vergangenen Monat die Konsens-Gewinnprognosen für Europa und Deutschland von 5 % bis 12 % angehoben. Laut FactSet sind die Gewinnrevisionen für US-Unternehmen (basierend auf dem S&P 500 Index) inzwischen im Allgemeinen niedriger und werden schneller nach unten korrigiert, als dies normalerweise im ersten Quartal des Jahres der Fall ist.4

Steigende Gewinnerwartungen veranlassen Investoren dazu, das Wertversprechen der europäischen Aktienmärkte neu zu bewerten. Europäische Aktien, die lange Zeit bei der Performance der globalen Aktienmärkte hinterherhinkten, wurden im Allgemeinen mit einem Abschlag von 30 % bis 40 % gegenüber ihren US-Pendants gehandelt.5 Angesichts der richtungsweisenden Entkopplung der Gewinnschätzungen glauben wir jedoch, dass die niedrigeren Bewertungen Europas allmählich Schnäppchenjäger anlocken.

Europäische Sektoren

Es überrascht nicht, dass europäische Sektoren, die am ehesten von höheren Staatsausgaben für Verteidigung, Sicherheit und Infrastruktur profitieren dürften, in diesem Jahr stark zugelegt haben. Dazu gehören Unternehmen aus den Bereichen Luft- und Raumfahrt, Rüstungsaufträge und Informationstechnologie. Dies spiegelt auch eine veränderte Einstellung der Anleger in den Vereinigten Staaten und anderswo zugunsten von Sektoren, Stilen und Unternehmen wider, die in den letzten Jahren während der engen Marktführerschaft der Magnificent Seven eine unterdurchschnittliche Leistung erbracht hatten.6 Europa profitiert nicht nur von höheren Wachstums- und Gewinnerwartungen, sondern auch von einer größeren Bereitschaft der Anleger, ihre Anlagebestände zu erweitern.

Risiken für die Sichtweise

Wie eingangs erwähnt, besteht unserer Meinung nach ein Hauptrisiko in der Eskalation von Zollkriegen, die das Vertrauen in die Wirtschaft und die Finanzmärkte untergraben und eine deutliche Konjunkturabschwächung oder sogar eine Rezession auslösen könnten.

Wie andere Investoren auch haben wir Schwierigkeiten, die Wahrscheinlichkeit einer Eskalation des Handelskrieges zu quantifizieren. Die Sorge besteht nicht darin, dass Europa in hohem Maße von Exporten in die Vereinigten Staaten abhängig ist (die in den meisten europäischen Ländern weniger als 10 % der Gesamtexporte ausmachen). Die Sorge gilt vielmehr der Unsicherheit, die ein Handelskrieg für alle Volkswirtschaften mit sich bringen könnte.

Ein zweites Risiko liegt in der Bereitschaft Europas, den neu gewonnenen finanziellen Spielraum für höhere Ausgaben zu nutzen. Politiker versprechen schließlich manchmal Dinge, die sie dann nicht einhalten können. Hier scheinen die Risiken jedoch geringer zu sein. Die Wahrnehmung der Bedrohung durch Russland in Europa ist zweifellos auf den Krieg zwischen Russland und der Ukraine zurückzuführen. Und für Europa sind die Vereinigten Staaten zu einem weniger zuverlässigen Verteidigungspartner geworden. Daher scheint es uns wahrscheinlich, dass Europa es ernst meint mit der Umsetzung seines Engagements für eine gemeinsame Verteidigung und Sicherheit.

Investitionsschlussfolgerungen

Ist es schließlich zu spät, um von der positiven Wende auf den europäischen Märkten zu profitieren? Schließlich hat Europa bereits Anfang 2025 einen Sprung nach vorne gemacht. In den ersten drei Monaten dieses Jahres ist der breite europäische Aktienindex (Stoxx 600) um 8,5 % gestiegen, während der S&P 500 auf eine Rendite von -3,5 % gestolpert ist.7 Dieser Renditeunterschied von 12 Prozentpunkten ist groß und ungewöhnlich.

Unserer Meinung nach ist dies kein ausreichender Grund, um Investoren davon abzuhalten, nach Europa zu wechseln.

Die Marktleistung in diesem Jahr spiegelt die berechtigte Einschätzung der Investoren wider, dass sich die Faktoren, die jetzt für Europa sprechen, positiv auswirken werden – darunter die Verbesserung des zyklischen Wachstums und der Gewinnaussichten, günstigere Bewertungen und eine größere Sicherheit für Investoren. Dies scheinen uns die wichtigsten europäischen Vorteile im Jahr 2025 im Vergleich zu dem zu sein, was in den Vereinigten Staaten geboten wird.

Kurz gesagt: Die alte Welt wird zu einem neuen Ziel für die Aufmerksamkeit der Anleger. Unserer Meinung nach ist diese Verschiebung gerechtfertigt und befindet sich noch in einem frühen Stadium. Für Anleger ist es unserer Meinung nach an der Zeit, Europa in Betracht zu ziehen.

Fußnoten

1 Eurostat. Analysis by Franklin Templeton Institute. There is no assurance that any estimate, forecast or projection will be realized.
2 Catechis, Kim, and Kosinska, Karolina. "Consider This: Could Europe build a structural advantage via cheap electricity?" February 2025.
3 “Economic Outlook.” Kiel Institute of the World Economy.
4 “Analysts Making Larger Cuts Than Average to EPS Estimates for S&P 500 Companies for Q1.” FactSet. February 28, 2025. Indexes are unmanaged and one cannot directly invest in them. They do not include fees, expenses or sales charges. Past performance is not an indicator or a guarantee of future performance. See www.franklintempletondatasources.com for additional data provider information. There is no assurance that any estimate, forecast or projection will be realized.
5 Bloomberg.
6 “Magnificent Seven” are Alphabet, Amazon, Apple, Meta, Microsoft, Nvidia and Tesla.
7 Bloomberg, as of March 20, 2025. The Stoxx Europe 600 measures European stocks designed by STOXX Ltd. This index has a fixed number of 600 components representing large-, mid- and small-capitalization companies among 17 European countries, covering approximately 90% of the free-float market capitalization of the European stock market (not limited to the eurozone). Indexes are unmanaged and one cannot directly invest in them. They do not include fees, expenses or sales charges. Past performance is not an indicator or a guarantee of future performance. See www.franklintempletondatasources.com for additional data provider information.

WO LIEGEN DIE RISIKEN?

Alle Anlagen sind mit Risiken verbunden, ein Verlust des Anlagekapitals ist möglich.

Beteiligungspapiere unterliegen Kursschwankungen und sind mit dem Risiko des Kapitalverlusts verbunden. Mit Small Caps und Mid Caps können größere Risiken und mehr Volatilität verbunden sein als mit Large Caps.

Festverzinsliche Wertpapiere bergen Zins-, Kredit-, Inflations- und Wiederanlagerisiken sowie das Risiko eines möglichen Verlusts des eingesetzten Kapitals. Wenn die Zinssätze steigen, fällt der Wert von festverzinslichen Wertpapieren.
Alle Unternehmen und/oder Fallstudien im vorliegenden Dokument dienen lediglich der Veranschaulichung. Eine Anlage wird derzeit nicht unbedingt in einem von Franklin Templeton empfohlenen Portfolio gehalten. Die bereitgestellten Informationen stellen weder eine Empfehlung noch eine individuelle Anlageberatung in Bezug auf bestimmte Wertpapiere, Strategien oder Anlageprodukte dar und sind kein Hinweis auf Handelsabsichten für ein durch Franklin Templeton verwaltetes Portfolio.

Anlageprodukte:

Templeton Euroland Fund - A (acc) EUR (LU0093666013)

Franklin European Quality Dividend UCITS ETF SINGLCLASS (IE00BF2B0L69)

Franklin Mutual European Fund - A (acc) EUR (LU0140363002)

Franklin Templeton vereint verschiedene Anlageverwalter mit unterschiedlichen Spezialisierungsgebieten und unabhängigen Anlagephilosophien. Mit einer über 75-jährigen Tradition ist Franklin Templeton weltweit einer der größten Asset-Manager.

Weitere Anlagestrategien:

Erneuerbare Energien unter Trump

ClearBridge Investments: Nachfrage nach erneuerbaren Energien unabhängig von …


Franklin Templeton

Franklin Templeton

Experten-Gastbeitrag

Jenseits der Geldmärkte: Argumente für kurzlaufende Anleihen

Geldmarktfonds beliebt bei konservativen AnlegerInnen. Rentenfonds mit kurzer…


Franklin Templeton

Franklin Templeton

Experten-Gastbeitrag

Infrastruktur-Ausblick 2025: Abbau des Bewertungsgefälles

ClearBridge Investments: In der Infrastrukturlandschaft gibt es weiterhin zah…


Franklin Templeton

Franklin Templeton

Experten-Gastbeitrag