Unsere Analystin Tina Tian testet die neueste Technologie für autonomes Fahren in einer der belebtesten Städte Chinas: Ein Erfahrungsbericht
Shanghai ist eine Herausforderung für Autofahrer. In der Stadt mit ihren 25 Millionen Einwohnern ist fast immer viel Verkehr, Fahrer wechseln abrupt und ohne zu blinken die Spur, Essenslieferanten überfahren rote Ampeln, Fußgänger überqueren spontan die Straße.
Erst eine nervenaufreibende Taxifahrt, dann der Test des Fahrassistenzsystems
Ich hatte den morgendlichen Berufsverkehr gerade erst selbst erlebt, auf einer nervenaufreibenden Taxifahrt. Der menschliche Fahrer war ständig gefordert, immer wieder war geistesgegenwärtiges Bremsen notwendig. Wie würde sich ein Computer während der Mittagszeit durch das geschäftige Treiben in der Shanghaier Innenstadt bewegen? Bislang muss in der Stadt auch bei einem Assistenzsystem der Stufe 2++ immer jemand mit zwei Händen am Steuer sitzen. Doch ich hatte schon ein wenig Respekt, als ich bei meinem jüngsten Research-Aufenthalt das Fahrassistenzsystem der Stufe 2++ getestet habe. Entwickelt hat es die Softwarefirma Momenta, und es kann lenken, bremsen und beschleunigen.
Chinesische Autohersteller beim assistierten Fahren auf der Überholspur
Chinas Autobauer dominieren die globale Elektrofahrzeugindustrie – doch der Markt ist von einem intensiven Verdrängungswettbewerb geprägt. Wie können sie in diesem Umfeld ihre Marktposition sichern und ausbauen? Die Autohersteller aus dem Reich der Mitte setzen dafür unter anderem auf assistiertes Fahren, und sie machen rasante Fortschritte. Goldman Sachs schätzt, dass China bis zum Jahr 2040 die höchste Verbreitung von autonomen Fahrzeugen (AV) weltweit haben wird. 90 Prozent der Verkäufe könnten dann auf Fahrzeuge entfallen, die mindestens Level 3 unterstützen – das Auto übernimmt also fast das gesamte Fahren. Die Vergleichswerte für Europa mit 79 Prozent und den USA mit 65 Prozent liegen deutlich niedriger.1
Fortschritte auch in anderen Bereichen des chinesischen Technologiesektors
Der Durchbruch von DeepSeek hat den Optimismus Chinas im KI-Wettlauf gestärkt. Doch wie wirken sich die Handelsspannungen zwischen den USA und China auf chinesische Technologieunternehmen aus? Auf meiner Reise habe ich mit Führungskräften von rund 20 Unternehmen gesprochen – und eine Erkenntnis mitgebracht: Geopolitische Zwänge haben diese Firmen nicht von Innovationen abgehalten. Im Gegenteil, in allen Sektoren sind Fortschritte zu erkennen. Drei Beispiele aus Gesprächen, die ich binnen einiger weniger Tage geführt habe:
- Ein Biotech-Unternehmen hat eine KI-Plattform entwickelt, um den klinischen Erfolg anhand von präklinischen Daten vorherzusagen.
- Ein Anbieter von autonomen Elektroflugzeugen will fliegende Taxis kommerziell möglich machen.
- Ein Softwareunternehmen ermöglicht es Haushaltsgeräten verschiedener Marken, sich zu verbinden oder miteinander zu „kommunizieren“.
Strukturelle Vorteile in China unterstützen die Entwicklung
Ein großer Binnenmarkt mit zunehmend technikaffinen Verbrauchern ermöglicht es, lokale Start-ups zu fördern, bevor sie größer werden oder sich weltweit etablieren. Auch der riesige Pool an Talenten in dem Land mit 1,4 Milliarden Einwohnern trägt dazu bei: In China haben 2020 mehr als viermal so viele Hochschüler ihr Studium in Wissenschaft, Technologie, Ingenieurwesen und Mathematik abgeschlossen wie in den USA.2 Angesichts der wachsenden wirtschaftlichen Rivalität mit den USA forciert die Regierung ihre Bemühungen um Eigenständigkeit im Technologiebereich. Im vergangenen Jahr flossen in China 500 Milliarden US-Dollar in Forschung und Entwicklung – dreimal mehr als noch 2012.
In China wurden bereits 16.000 Lizenzen für fahrerlose Fahrzeuge ausgestellt, und auf 32.000 Straßenkilometern dürfen autonome Fahrzeuge getestet werden.3 Entsprechend weit ist die chinesische AV-Technologie gekommen, und genau das zeigt sich auch auf meiner Testfahrt. Denn schon nach ein paar Häuserblocks ist mein Unbehagen völlig verflogen. Das Auto navigiert gekonnt durch Roller, Busse, mehrere Fahrspuren und eine Baustelle, ohne dass der menschliche Fahrer eingreifen muss. Die gesamte 45-minütige Fahrt verläuft erstaunlich reibungslos – einschließlich eines 2,8 Kilometer langen Tunnels und einer Brücke, die sich gut 400 Meter über den Huangpu-Fluss spannt. Ja, es gibt noch Raum für Verbesserungen. Doch die Fahrt war eine der komfortabelsten, die ich je in der Stadt erlebt habe.
Der Blick voraus zeigt Risiken und Chancen
Für den Sektor bleiben einige Risiken bestehen. Erfahrungsgemäß wird es eine Weile dauern, bis die Kunden solche – oft recht „radikalen“ – Formen der Automatisierung annehmen. Auch den Wettbewerb und die Regulierung muss man im Blick behalten. Nach meiner denkwürdigen Fahrt habe ich jedoch keinen Zweifel daran, dass ich mich hier bald mit einem völlig fahrerlosen Auto fortbewegen kann: Nur ich, ein Autopilot und die belebten Straßen von Shanghai.
Quellen:
¹ Partially autonomous cars forecast to comprise 10% of new vehicle sales by 2030 | Goldman Sachs
3 China's Ministry of Public Security
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