Immer wieder Hinweise auf Unternehmen, die von moderner Sklaverei profitieren: im Fokus oft die uigurische Provinz Xinjiang. Hong Kong Watch untersuchte populäre Indizes auf Verbindungen zu Menschenrechtsverletzungen in der westchinesischen Region.
Indizes spielen auf den globalen Finanzmärkten eine zentrale und zunehmend wichtige Rolle – unabhängig davon, ob Nachhaltigkeitskriterien Anwendung finden oder nicht. Eine ihrer grundlegenden Funktionen besteht darin, ein passives Management von Anlagen zu ermöglichen, indem beispielweise ein Index abgebildet bzw. physisch repliziert wird.
Ein bedeutender Vorteil des passiven Investments sind geringe Gebühren. Denn im Gegensatz zur aktiven Vermögensverwaltung entfällt die Entlohnung spezialisierter Fachkräfte im Asset Management. Dies ist ein Grund, der passiven Investments in den letzten Jahren zu einem massiven Aufschwung verholfen hat. Schätzungen zufolge ist der Anteil beispielsweise am US-amerikanischen Markt von 32 Prozent im Jahr 2015 auf heute 43 Prozent angestiegen. Weltweit sind aktuell mehr als 26 Billionen US-Dollar in passive Fonds investiert, was mehr als dem wirtschaftlichen Jahresoutput der USA entspricht.1
Passive Fonds in der Kritik
Neben einer immensen Marktkonzentration – über 80 Prozent der weltweiten Anlagen entfallen Schätzungen zufolge auf die drei größten Anbieter BlackRock, Vanguard und State Street2 – sind passive Fonds immer wieder aus Nachhaltigkeitsperspektive Gegenstand von Kritik – beispielsweise mit Blick auf den Klimawandel. Seltener stehen andere Themen – etwa Menschenrechtsverletzungen – im Fokus.
Genau diesem Thema hat sich nun eine Studie der britischen NGO Hong Kong Watch mit Unterstützung des Helena Kennedy Centre for International Justice an der Sheffield Hallam Universität gewidmet. Darin wird untersucht, inwiefern in großen Indizes Unternehmen enthalten sind, die mit Menschenrechtsverletzungen in der uigurischen autonomen Provinz Xinjiang (siehe Textkasten) im Zusammenhang stehen.3
Hong Kong Watch
Hong Kong Watch ist eine britische Wohltätigkeitsorganisation, die sich mit Fragen der Grundfreiheiten, Rechtsstaatlichkeit und Unabhängigkeit Hongkongs befasst und über weltweite Lobbyarbeit zu stärken sucht. Die Organisation möchte in diesem Sinne gestaltend auf die Debatten über Hongkong einwirken und steht im regelmäßigen Austausch mit Politik, Wissenschaft und Medien. Hong Kong Watch arbeitet unter anderem eng mit der Wissenschaft zusammen und veröffentlicht Studien zu verschiedenen Themen.
Quelle: www.hongkongwatch.org/about-hkw
Xinjiang: Zwangsarbeit, Internierungen und Überwachung
Laut Hong Kong Watch gibt es seit Jahren Belege dafür, dass staatlich geförderte Arbeitsvermittlungen von uigurischen Arbeitskräften innerhalb von Xingjiang sowie zwischen dieser Provinz und anderen Regionen Chinas durch Zwang geprägt sind: So gibt es kein Mitspracherecht mit Blick auf Branche und Arbeitsort; werden Angebote abgelehnt, drohen den Menschen und ihren Familien Strafen. Unternehmen, die auf diese Weise vermittelte Arbeitskräfte beschäftigen, profitieren von dem Zwangssystem – auch wenn sie die Transfers nicht selbst steuern. Zudem hat China der NGO zufolge in Xinjiang einen massiven Apparat außergerichtlicher Internierungen und Hightech-Überwachungen von Minderheiten errichtet.
Autonome Region Xinjiang
Die Autonome Region Xinjiang im Westen Chinas ist dreimal so groß wie Deutschland, zählt aber nur 20 Millionen Menschen. Sie war lange Zeit mehrheitlich von Uigur*innen bewohnt, einer turksprachigen Ethnie muslimischen Glaubens. Doch inzwischen bilden Zugezogene aus anderen Teilen Chinas die Mehrheit in der Provinz. Sie werden von den Uigur*innen als Besatzungsmacht wahrgenommen. Umgekehrt wirft China ihnen separatistische Bestrebungen und Rückständigkeit vor. Tatsächlich haben sich als Reaktion auf Diskriminierungen viele von ihnen radikalisiert. Es gab Anschläge. Als Reaktion darauf forcierte China seine repressive Politik. Amnesty International schätzt, dass die chinesischen Behörden seit 2018 bis zu einer Million Uigur*innen in Internierungs- und Umerziehungslager eingewiesen haben.
Quelle: www.amnesty.de/informieren/amnesty-journal/china-xinjiang-im-land-der-unsichtbaren-lager
Konkret hat Hong Kong Watch Indizes mit einer Liste von Unternehmen abgeglichen, die in Menschenrechtsverletzungen in Xinjiang involviert sind. Diese Unternehmen sind in sehr unterschiedlichen Bereichen wie Elektronik, Energie, Genomforschung, Bauwesen und Schwermaschinen oder Überwachung tätig. Folgende Indizes wurden exemplarisch für die Untersuchung ausgewählt:
- MSCI Emerging Markets Index
- MSCI China Index
- MSCI All-Country World Index (ex-US)
Folgende Ergebnisse resultierten:
- MSCI Emerging Markets Index: Zwölf Unternehmen wurden identifiziert, von denen sechs uigurische Arbeitskräfte mit Hilfe von staatlich geförderten Arbeitsvermittlungen angeworben haben und sechs am Bau von Internierungslagern und dem Repressionsapparat in Xinjiang beteiligt waren.
- MSCI China Index: 13 Unternehmen wurden identifiziert, von denen sieben Unternehmen uigurische Arbeitskräfte über staatlich geförderte Arbeitsvermittlungsprogramme angeworben hatten und sechs am Bau von Internierungslagern oder dem Repressionsapparat in Xinjiang beteiligt waren.
- MSCI All-Country World Index (ex-US): Vier Unternehmen wurden identifiziert, von denen zwei uigurische Arbeitskräfte durch staatlich geförderte Arbeitsvermittlungen angeworben hatten und zwei am Bau von Internierungslagern oder dem Repressionsapparat in Xinjiang beteiligt waren.
In einem zweiten Schritt ging es darum, herauszufinden, welche großen Investoren aktuell in diese Indizes investieren. Die resultierende Liste enthält viele Namen global führender Vermögensverwalter, darunter zum Beispiel BlackRock, HSBC oder UBS, und ebenso wichtige Pensionsfonds aus den USA, Kanada, Großbritannien, Japan und Neuseeland.
Mit der Macht des Finanzsektors gegen moderne Sklaverei
Hong Kong Watch leitet aus den Studienergebnissen – und angesichts der zunehmend eingeschränkten Möglichkeiten, sich in Hong Kong selbst gegen Menschenrechtsverletzungen einzusetzen – im Wesentlichen zwei Stränge an Handlungsempfehlungen ab: Erstens die Macht des Finanzsektors stärker im Kampf gegen moderne Sklaverei zu nutzen und zweitens – um hier Substantielles erreichen zu können – die Regulierung in westlichen Finanzmetropolen in diesem Sinne weiterzuentwickeln.
Hong Kong Watch unterbreitet der Wirtschaft und der Politik – und hier insbesondere der EU und den USA – dafür sehr konkrete Vorschläge. Für die Vereinigten Staaten nennt die NGO den Uyghur Forced Labor Prevention Act (UFLPA) als einen wichtigen Anknüpfungspunkt. Sie mahnt hier an, eine zum UFLPA zählende Liste von Unternehmen zum Zwecke des Ausschlusses von Importen auf Basis des derzeitigen Wissensstandes zu aktualisieren. Zudem reicht nach Überzeugung der NGO ein Importverbot nicht aus. Auch Investitionen in Unternehmen, die mit Zwangsarbeit in Xinjiang in Verbindung stehen, müssten unterbunden werden.
Uyghur Forced Labor Prevention Act (UFLPA)
Der UFLPA wurde im Dezember 2021 von Präsident Biden unterzeichnet. Es sieht vor, dass die Einfuhr von Waren, Gütern oder Artikeln, die ganz oder teilweise in der Autonomen Region Xinjiang abgebaut, produziert, hergestellt oder von bestimmten Einrichtungen produziert werden, verboten ist und dass derartige Waren, Güter und Artikel nicht in die Vereinigten Staaten eingeführt werden dürfen. Dieses Verbot gilt nicht, wenn bestimmte Bedingungen erfüllt sind und durch eindeutige und überzeugende Beweise belegt werden kann, dass die Waren, Güter oder Artikel nicht durch Zwangsarbeit hergestellt wurden.
Quelle: https://www.cbp.gov/trade/forced-labor/UFLPA
Politikempfehlung an die EU: Investitionsverbote verhängen
Mit Blick auf die EU bezieht sich Hong Kong Watch vor allem auf den Kommissionvorschlag zum Verbot von mit Zwangsarbeit hergestellten Produkten – auch wenn dieser nicht explizit auf die uigurische Provinz Xinjiang zielt. Die EU hatte den Entwurf im September letzten Jahres vorgelegt, um der Zwangsarbeit entgegenzuwirken, von der nach ihren Angaben weltweit schätzungsweise 27,6 Millionen Menschen betroffen sind.4 Andere Quellen gehen sogar von 40 Millionen Menschen aus.5
EU-Pläne zum Verbot von mit Zwangsarbeit hergestellten Produkten
Im September 2022 veröffentlichte die Europäische Kommission einen Vorschlag, nachdem Produkte, die mit Zwangsarbeit hergestellt werden, auf dem EU-Markt verboten werden sollen. Der Entwurf der Verordnung deckt Produkte unabhängig davon ab, ob sie von Drittstaaten eingeführt wurden, für den Inlandsverbrauch oder die Ausfuhr bestimmt sind. Gemäß der Vorlage würden die nationalen Behörden ermächtigt, mit Zwangsarbeit hergestellte Produkte vom EU-Markt zu nehmen bzw. an den EU-Außengrenzen zu identifizieren und zu stoppen. Zudem ist eine Plattform für die strukturelle Koordinierung und Zusammenarbeit zwischen den zuständigen Behörden und der Kommission vorgesehen, ein so genanntes EU Forced Labour Product Network. Der Vorschlag durchläuft aktuell das europäische Gesetzgebungsverfahren.
Quelle: https://ec.europa.eu/commission/presscorner/detail/de/ip_22_5415
Hong Kong Watch empfiehlt hier ebenfalls, neben Produkten auch Investitionen in Unternehmen, die direkt an staatlich verordneter Zwangsarbeit beteiligt sind, zu verbieten. Zudem fordert die NGO, Listen von entsprechenden Unternehmen im öffentlichen Beschaffungswesen zu berücksichtigen sowie auf nationale Gesetzgebungen einzuwirken.
Mehr Aufmerksamkeit für soziale Aspekte
Von der Wirtschaft und insbesondere dem Finanzbereich wünscht sich Hong Kong Watch vor allem, das S in ESG (Environmental, Social & Governance) stärker zu berücksichtigen. Hierzu sollen nach Auffassung der britischen NGO …
- Investmenthäuser, Standardsetzer und Regierungen Menschenrechtsverletzungen in ihren ESG-Kennzahlen und regulatorischen Rahmenwerken angemessen gewichten.
- ESG-Rating-Agenturen staatlich verordnete Zwangsarbeit stärker gewichten und zu einem obligatorischen Kriterium bei der Bestimmung der ESG-Bonität von Unternehmen machen.
- für globale Indizes schwarze Listen von Unternehmen verbindlich sein, die sich an Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder moderner Sklaverei beteiligen, um entsprechende Investitionen von öffentlichen Pensionsfonds und Privatpersonen zu beschränken.
- Unternehmen und Investoren alle ihre Geschäfts- und Investitionstätigkeiten und -beziehungen einer menschenrechtlichen Sorgfaltspflicht unterziehen und eine vollständige Rückverfolgung der Lieferkette bis hin zu den Rohstoffen sicherstellen.
Es gibt bereits eine Reihe von Initiativen im bzw. für den Finanzbereich zu sozialen Themen, die zumindest indirekt auch auf die Problematik der Zwangsarbeit in der uigurischen Provinz Xinjiang positiv einwirken könnten. Hierzu zählen unter anderem der Vorschlag für eine soziale Taxonomie,6 die Workforce Disclosure Initiative der britischen NGO ShareAction oder auch die Taskforce on Inequality-related Financial Disclosures (TIFD) mit einem umfassenden und ambitionierten Ansatz auf Basis der planetaren Grenzen und der Menschenrechte.
Initiative FAST – Finance Against Slavery and Trafficking
Nicht zu vergessen ist die Liechtenstein Initiative for a Financial Sector Commission on Modern Slavery and Human Trafficking, die unmittelbar auf Zwangsarbeit zielt. Sie veröffentlichte 2019 nach einem einjährigen Dialogprozess einen Blueprint für die Mobilisierung von Finanzmitteln gegen Sklaverei und Menschenhandel sowie ein dazugehöriges Toolkit. Daraus entstand FAST – Finance Against Slavery and Trafficking. FAST führt Untersuchungen, Schulungen und Kampagnen zur Umsetzung der erarbeiteten Empfehlungen durch.
Sowohl in der Politik als auch in der Wirtschaft gibt es damit Initiativen und Anknüpfungspunkte, auf denen aufgebaut und die weiterentwickelt werden können. Zudem können einzelne Akteure Einfluss ausüben. So hat der Vermögensmanager und Fondsinitiator Ethius Invest sein Fragerecht auf der Hauptversammlung des Weltmarktführers im Bereich Offshore-Windenergie Orsted genutzt, um Angaben dazu einzufordern, wie viele der Seltenen Erden im laufenden Geschäftsjahr aus Xinjiang bezogen werden.
Derartige Fragen zu stellen, ist mit Blick auf sehr unterschiedliche Branchen von Relevanz. So wies das Forschungsinstitut Südwind 2020 in einem Factsheet7 darauf hin, dass gerade im Textilbereich das Risiko der Zwangsarbeit sehr hoch ist. Denn etwa 20 Prozent der weltweit verarbeiteten Baumwolle stammt aus der uigurischen Provinz Xinjiang. Gerade jüngst ist zudem der deutsche Automobilhersteller Volkswagen AG mit Menschenrechtsverletzungen in China in Zusammenhang gebracht worden, was auch Reaktionen im Finanzsektor ausgelöst hat.8 Weitere Entwicklungen in Politik und Wirtschaft bleiben mit Spannung abzuwarten.
Fußnoten:
1 https://blogs.lse.ac.uk/lsereviewofbooks/2022/05/11/book-review-trillions-how-a-band-of-wall-street-renegades-invented-the-index-fund-and-changed-finance-forever-by-robin-wigglesworth/
2 https://www.etf.com/publications/etfr/living-large-how-big-3-got-so-big
3 https://static1.squarespace.com/static/58ecfa82e3df284d3a13dd41/t/638e318e6697c029da8e5c38/
1670263209080/EDITED+REPORT+5+DEC.pdf
4 https://ec.europa.eu/commission/presscorner/detail/de/ip_22_5415
5 https://www.fastinitiative.org/.
6 https://finance.ec.europa.eu/system/files/2021-02/finance-events-210226-presentation-social-taxonomy_en.pdf
7 https://www.suedwind-institut.de/files/Suedwind/Publikationen/2020/2020-21%20FS%20Zwangsarbeit%20in%20Xinjiang.pdf
8 https://www.wiwo.de/unternehmen/auto/wegen-china-nicht-mehr-investierbar-deka-wirft-vw-aktie-aus-nachhaltigen-finanzprodukten/29027804.html
Anlageprodukte:
Ethius Global Impact (DE000A2QCXY8 / DE000A2QCXZ5 / DE000A2QCX03 / DE000A2QCX11)
Die Ethius Invest Schweiz ist ein ethisch-nachhaltiger Vermögensverwalter und Initiator des Ethius Global Impact Fonds. Die Anlagephilosophie verfolgt das Prinzip eines konsequenten Nachhaltigkeitsansatzes. Der Nachhaltigkeitsanspruch stellt keine Ergänzung, sondern den Grundgedanken des Unternehmens dar.
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