Eigentlich unheimlich: Staatsanleihen der Top-Industrienation der Welt verlieren ihr AAA-Rating und die Märkte nehmen keine Notiz davon. Doch es gibt dafür 4 gute Gründe, auf die US-Experten hinweisen – und langfristig keine vollständige Entwarnung.

Den 1. August müsste man sich eigentlich als historisches Datum im Kalender markieren. Denn mitten im Sommer entzog die Rating-Agentur Fitch den USA ihr Top-Kredit-Rating von AAA und reihte die Staatsanleihen der weltgrößten Volkswirtschaft eine Stufe tiefer mit AA+ ein. Die USA fielen damit aus dem erlesenen Club der AAA-Staaten, deren Staatsanleihen nach Lesart der Ratingagenturen als risikolos gelten. Dazu gehören jetzt nur noch Deutschland, Dänemark, die Niederlande, Schweden, Norwegen, Schweiz, Luxemburg, Singapur und Australien.1

Doch der große Knall an den Anleihen- und Aktienmärkten blieb aus, die Herabstufung war ein Non-Event. Auch hierzulande zeigten sich insbesondere institutionelle Investoren unbeeindruckt und sahen keinen Anlass, ihre Portfolios anzupassen. Das ist das Ergebnis einer raschen Abfrage institutioneller Marktmeinungen durch dpn („US-Downgrade lässt den Markt kalt“, dpn, 4. August 2023). Die gute Botschaft für alle, die ihr privates Kapital anlegen: Die Märkte blieben ruhig und es besteht offenkundig kein Anlass, an ihren Portfolios wegen der Nachricht von Fitch Veränderungen vorzunehmen.

Doch es bleibt die Frage nach dem Warum dieser beinahe gespenstischen Ruhe. Expertenstimmen aus den USA, wo man sich naturgemäß mit dem Thema noch intensiver auseinandersetzt, helfen den Vorgang besser zu verstehen. Sie nennen vier wesentliche Gründe für die unaufgeregte Marktreaktion:

1. Es ist nicht das erste Mal, dass die USA ihr AAA-Rating verlieren. Mit Fitch folgte die kleinste der drei bedeutenden Kredit-Rating-Agenturen dem Vorbild von S&P. Diese Agentur hatte den USA schon 2011 das AAA-Rating entzogen – übrigens auch wegen einer Debatte um eine späte Abwendung der Zahlungsunfähigkeit der USA zwischen Republikanern und Demokraten.2 Damals waren die Märkte stark verunsichert. Am 8. August 2011 – dem ersten Handelstag nach der Entscheidung von S&P – verlor der breite US-Aktienindex S&P 500 fast 7%. Ein Ereignis, das als „Black Monday“ in die Geschichtsbücher einging. Die Verluste am US-Aktienmarkt gingen weiter mit 5,7% im August und noch einmal 7,2% im September.3 Und auch der Staatshaushalt der USA bekam zumindest eine leise Ahnung davon, was die Folgen einer Herabstufung sein können: Im Jahr 2011 verteuerten sich die Zinszahlungen der Staatskasse für die US-Schulden um 1,3 Mrd. US-Dollar.4

2. Es gab Warnungen von Fitch. Der professionelle Teil des Marktes war diesmal auch deshalb deutlich weniger von der Tatsache der Herabstufung überrascht, weil Fitch seit 2011 wiederholt das Top-Rating für die USA hinterfragt hatte. Einzig der Zeitpunkt – nämlich nach Einigung im Haushaltsstreit – sorgte bei einigen Kommentatoren für Aufsehen. Aus dem Finanzministerium meldete Larry Summers deutliche Ablehnung der Entscheidung von Fitch: „Bizarr und unfähig“, zumal es der US-Wirtschaft nun besser gehe als erwartet.5

USA: Einschätzungen der drei großen Rating-Agenturen (Grafik auch zum Download verfügbar)

USA: Einschätzungen der drei großen Rating-Agenturen

Quellen: Ratingagenturen S&P, Moody’s, Fitch

3. Die Anlagerichtlinien vieler großer institutioneller Investoren wurden bereits geändert. In der Folge der Rating-Rückstufung durch S&P im Jahr 2011 haben viele Institutionelle (insbesondere z. B. US-Versicherer) ihre Anlagerichtlinien geändert. Sie sind seither nicht mehr gezwungen, Anleihen beim Verlust des Top-Ratings zu verkaufen, soweit sie von der US-Regierung garantiert werden.6

Das lässt auch ein Statement der US-Finanzministerin Janet Yellen im Kontext der Fitch-Rückstufung in einem ganz eigenen Licht erscheinen: „At the end of the day, Fitch’s decision does not change what all of us already know: that Treasury securities remain the world’s preeminent safe and liquid asset.“7 Nach ihren Worten ändert also die Entscheidung von Fitch nichts daran, dass US-Staatsanleihen die in der Welt herausragend sicheren und liquiden Wertanlagen bleiben – eine Adresse an Institutionelle, dass US-Staatsanleihen weiter den Anlagerichtlinien entsprechen.
 
4. Eigenes Research und interne Ratings sind weit verbreitet. Viele Kommentare wiesen auch darauf hin, dass gerade für zentrale Wertpapiere wie US-Staatsanleihen bei Banken und Institutionellen eigene Daten und Einschätzungen die veröffentlichten Ratings der Agenturen ergänzen. Anlageentscheidungen dieser Tragweite würden demnach nicht allein aufgrund von Ratings getroffen.

Fazit: Kurzfristig breite Entwarnung, langfristig bleibende Zweifel
 
Anders als 2011 bei der Herabstufung von S&P folgte auf die Ratinganpassung durch Fitch diesmal keine wesentliche Marktreaktion. Und die genannten Gründe können das sicher gut erklären. Allerdings bedeutet das nicht, dass der Verlust des Top-Ratings langfristig folgenlos bleibt. 

Denn die neuerliche „Delle“ im Ruf der USA6 als Schuldnerin, reiht sich ein in globale Entwicklungen, die die absolute Dominanz des Dollar als Welt-Reservewährung untergraben. Damit könnte in Zukunft auch das Gewicht der Finanzierungskosten stärker auf den USA lasten als bisher. Schließlich könnten nach Prognosen des Internationalen Währungsfonds die USA bereits in fünf Jahren gemessen an der eigenen Wirtschaftsleistung stärker verschuldet sein als Italien. Eine Situation, die dazu führen kann, dass an den Märkten ein Risikoaufschlag für Staatsanleihen der USA verlangt wird – wie es Italien schon häufiger erfahren hat. 

Und auch Fitch hat der US-Regierung ins Stammbuch geschrieben, dass Einnahmen und Ausgaben in ein besseres Verhältnis kommen müssen. Die Herabstufung des Ratings erfolge nicht wegen eines singulären Ereignisses, sondern wegen der „langfristigen Erosion der Standards in der Haushaltspolitik über die letzten 20 Jahre“.8 Insbesondere bei schwächelndem BIP kann die Verschuldung zum Problem werden und dann wirklich Geld kosten – mit Bremswirkung auf die US-Wirtschaft. Auf diese Dimension weisen viele Kommentatoren hin.9 Die politischen Spiele („Wer hat Schuld daran, dass die Ausgaben nach oben gehen und die Steuereinnahmen nicht mitziehen?“) und teure Kompromisse zur Abwendung der Zahlungsunfähigkeit zwischen Republikanern und Demokraten werden als Ursache für den Verfall der Haushaltsraison ausgemacht. Die politische Lagerbildung im zweigeteilten Amerika wird damit zunehmend zu einem Problem, das die USA nicht nur politisch sondern wirtschaftlich schwächen könnte.

Quellen:

Wirtschaftswoche, 02. August 2023
New York Times: https://www.nytimes.com/2023/08/01/business/fitch-downgrade-us- credit-rating.html
Barron’s, 2. August 2023
Le Monde, 2. August 2023
BBC News, „Fitch downgrades US credit rating from AAA to AA+“, 2. August 2023
Reuters, „Fitch cuts US credit rating to AA+; Treasury calls it 'arbitrary', 3. August 2023
U.S. Department of the Treasury, „ Remarks By Secretary of the Treasury Janet L. Yellen on Inflation Reduction Act, Progress on Modernizing IRS”, 2. August 2023
npr, „ The U.S. loses its top AAA rating from Fitch over worries about the nation's finances”, 1. August 2023
The Wallstreet Journal, 9. August 2023

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