Schon zum Jahreswechsel standen die Zentralbanken unter Beobachtung der Anlagemärkte – und das dürfte so bleiben: Was EZB und FED treibt, was Anlegende darüber wissen müssen und welche Wirtschaftsszenarien mit dem Zentralbankhandeln einhergehen.

Nach einem schwungvollen Start in den Dezember und einer vorübergehenden Höchstmarke von über 17.000 Punkten Mitte Dezember1, tritt der DAX auf der Stelle. Hoffnungen auf baldige Zinssenkungen hatten ihn beflügelt. Unsicherheit, wie es mit den Leitzinsen weitergeht, macht ihm seither zu schaffen.

Wenn auch der DAX als der Deutschen liebstes Barometer global nicht von erstrangiger Bedeutung ist, lässt sich dieses Muster jedoch bei allen großen Aktienindizes beobachten. Die Aktienmärkte schauen im Wechselbad der Gefühle von Hoffnung und Verzagtheit auf die nächsten Schritte der Zentralbanken. Zeit, einmal die Ausgangssituation für die Entscheidungsgremien der EZB und der FED zu durchleuchten.

Worauf die Expertengremien der Zentralbanken blicken

EZB und FED eint das Mandat, für Geldwertstabilität zu sorgen. Im Zuge der inflationären Entwicklung ab 2022 haben die Zentralbanken deshalb die Leitzinsen schrittweise erhöht. Die FED auf 5,5 % (dem höchsten Stand seit 22 Jahren), die EZB nach zehn Anhebungsschritten in Folge auf 4,5%.2 Angesichts sinkender Inflationsraten werden nun die Rufe nach Lockerung der Zinsvorgaben laut. Das Zentralbankjahr 2024 steht also unter genau umgekehrten Vorzeichen im Vergleich zu den Vorjahren.3 Damals war (2022 noch ausgehend vom Nullzinsniveau) nur eine Richtung denkbar – steigende Zinsen.

Das erste und wichtigste Entscheidungskriterium ist die Inflation. Die FED, die mit ihren Zinserhöhungen schon früher begonnen hatte, ist inzwischen der EZB nicht mehr voraus. Für November 2023 war bereits eine US-Inflationsrate gegenüber dem Vorjahr von 3,1% gemeldet worden. Im Dezember folgte wieder ein Anstieg auf 3,4% (vorläufige Zahlen). Das liegt allerdings doch schon nahe am Stabilitätsziel von 2%, wenn man bedenkt, dass die USA im November 2022 noch eine Rate von 7,1% verzeichneten.4

Doch obwohl dieser Rückgang auch die Aktienmärkte hoffnungsvoll stimmte, ist er nur die halbe Wahrheit. Denn die Zentralbanken blicken hinter die Inflation und betrachten die Kerninflation. Diese ist um die Sektoren Energie und Nahrungsmittel bereinigt. Deren historisch immer sehr volatilen Beiträge sind also aus der Inflationsrate rausgerechnet. Und die Kerninflation zeigt sich hartnäckig. In den USA konnte sie seit Monaten nicht wesentlich unter 4% gedrückt werden. Seit März 2023 ist sie konstant „höher“ als die sogenannte „Headline Inflation“ der Verbraucherpreise insgesamt.

US-Kerninflation bleibt hartnäckig (Grafik auch zum Download verfügbar)

Grafik zeigt US-Inflation und US-Kerninflation als Balkengrafik von November 2020 bis November 2023. Meist ist die Kerninflation geringer. Seit März 2023 liegt sie jedoch über der Inflation.

Inflation und Kerninflation in den USA. Quelle: Statista, Bureau of Labor Statistics (bis.gov), Januar 2024

Wie kann das sein? Der wesentliche Grund dürfte in den Energie- und Benzinpreisen liegen. Durch eine beispiellose Steigerung der Rohölförderung auf den höchsten Stand jemals (4 Milliarden Barrel für das Jahr 2023) konnten die Energiepreise für Verbraucherinnen und Verbraucher in den USA deutlich zurückgefahren werden.5 Die Preiserhöhungen bei Treibstoffen und fossiler Energie, die weltweit seit dem russischen Angriff auf die Ukraine die Kosten für Privathaushalte und Industrie explodieren ließen, hatten gerade im Jahr 2022 die Inflation vor sich hergetrieben. Jetzt ist im Vergleich zu den Werten des Vorjahres Ihre Bedeutung als Inflationsbeschleuniger wieder zurückgegangen.

Verglichen mit der FED seht die EZB  besser da. So war im Dezember (nach vorläufigen Zahlen) die Inflation wieder auf 2,9% gestiegen, die sich im November schon auf 2,4% abgebremst hatte. Allerdings wird die Kernflation auch im Euroraum für Dezember mit 3,9% beziffert.6 Ein Blick nach Deutschland: Der Gesamtindex war nach vorläufigen Zahlen im Dezember wieder auf 3,7% (nach 3,2 %) im November gestiegen. Allerdings hat Deutschland ein geringeres Problem mit der Kerninflation. Diese wurde für Dezember 2023 mit 3,5% gemeldet – liegt also unter der Rate für den Gesamtindex und unter der Kerninflation in den USA und in der Eurozone insgesamt.7

Die Inflation ist auf beiden Seiten des Atlantiks noch nicht vom Tisch. Für die EZB könnten sich – sollte sich die Entwicklung fortschreiben – sogar früher Handlungsoptionen für Zinssenkungen auf der Inflationsseite ergeben.

Arbeitsmarkt und Konjunktur: Mandat der FED, Einflussfaktor für die EZB

Der zweite große Themenkomplex für die Zentralbanken ist der Arbeitsmarkt und die Konjunktur. Bei der US-Zentralbank gehört es sogar zum offiziellen Mandat, auf eine geringe Arbeitslosigkeit zu achten und positive Impulse für die wirtschaftliche Entwicklung zu setzen. In Bezug auf die Arbeitslosigkeit scheint aus Sicht der Zentralbanken kaum erhöhter Handlungsbedarf zu bestehen. Die Arbeitslosigkeit in der Eurozone ist auf ein historisches Tief gefallen8, auch in den USA sieht die Arbeitsmarktlage gut aus.

Arbeitslosigkeit auf Tiefständen (Grafik auch zum Download verfügbar)

Grafik zeigt ein Absinken der Arbeitslosigkeit im Euroraum von 7% im Dezember 2021 auf 6,5% im Oktober 2023. Die Arbeitslosenquote in den USA bleibt mit Werten zwischen 3,9 % und 3,5% über den Zeitraum weitgehend konstant.

Quellen: Euroraum / Eurostat, 9.1.2024, USA / Bureau of Labor Statistics, 4.1.2024

Die Konjunktur ist das „Sorgenkind“ der FED und mehr noch der EZB. In den USA zog das Wachstum des Bruttoinlandsproduktes im dritten Quartal 2023 immerhin auf 4,9 % gegenüber dem Vorquartal an. Nicht schlecht, aber weniger als nach ersten Schätzungen im Vorfeld erwartet.9 Die Aussichten sind besonders angesichts ausstehender Wahlentscheidungen allerdings mit besonderer Unsicherheit belastet.

Verantwortliche in der EZB haben deutlich größere Konjunktursorgen. Im dritten Quartal schrumpfte die Wirtschaft im Euroraum um 0,1 % gegenüber dem Vorjahresquartal10. Die größte Volkswirtschaft (Deutschland) ist merklich außer Tritt. Mehrere Frühindikatoren wie der ifo-Geschäftsklimaindex weisen auf eine bevorstehende Rezession hin. Die Auftragsbücher, gerade im Export, sind leerer als gewöhnlich (auch ein Effekt von Strukturveränderungen, die Industrieproduktion sinkt.11

Hinweis auf Rezession? Sinkende Produktion (Deutschland) (Grafik auch zum Download verfügbar)

Preis-, kalender- und saisonbereinigte Veränderung der Produktion im Produzierenden Gewerbe in Deutschland. Neueste Werte: 6/23: - 1,5%, 7/23: -0,5%, 8/23: -0,1%, 9/23: - 1,3%, 10/23: -0,4%, 11/23: - 0,7 %.

Quelle: Statista / Destatis, Jan. 2024

Aus Politik und Wirtschaft werden in dieser Situation Wünsche an die EZB herangetragen. Eine Absenkung des Leitzinses könnte die Finanzierung für Unternehmen erleichtern und die kreditfinanzierte Investition bei Unternehmen und privaten Haushalten ankurbeln. So würde ein Impuls für die schwächelnde Wirtschaft gesetzt.   

Staatsverschuldung: „Whatever it takes?”

Seit dem denkwürdigen Ausspruch des ehemaligen EZB-Präsidenten Mario Draghi ist klar: Die EZB hat auch die Schulden der Mitgliedsländer im Blick – und sei es um der Gemeinschaftswährung willen. Höhere Zinsen der Zentralbanken belasten die Staatshaushalte, die mehr für die Verschuldung zahlen müssen. Angesichts der Krisenfrequenz von Corona und Ukraine haben sich viele Staaten des Euroraumes höher verschuldet. Die Diskussion um eine Lockerung der Schuldenbremse wird nicht umsonst in Deutschland aber auch schon länger auf europäischer Ebene intensiv geführt.

Doch auch die USA stehen vor einem Schuldenproblem. Die Staatsverschuldung gemessen an der Wirtschaftsleistung (BIP) hat sich in den letzten 15 Jahren mehr als verdoppelt (Tendenz weiter steigend).12 Damit kosten auch die USA ihre Schulden immer mehr Geld.

EZB und FED stehen damit unter politischem Druck. Die Handlungsspielräume der politisch Verantwortlichen in der Haushaltsgestaltung sinken, wenn die Zinsen weiter auf dem jetzigen Niveau bleiben.

Tipp: Sitzungstermine im Blick behalten

Wenn die Anlagemärkte Zinsentscheidungen entgegenfiebern, ist es wichtig, diese neben den oben geschilderten Einflussfaktoren auf die Zentralbanken im Blick zu haben. Hier die Sitzungstermine 2024 des Offenmarktausschusses der FED und des EZB-Rates in einer Übersicht für alle, die ihr Kapital anlegen wollen.

Entscheidende Termine: Sitzungen der EZB und der FED zu Leitzinsen (Grafik auch zum Download verfügbar)

EZB: 25.01.2024, 07.03.2024, 11.04.2024, 06.06.2024, 18.07.2024, 12.09.2024, 17.10.2024, 12.12.2024. FED: 19/20.03.2024, 30.04./02.05.2024, 11/12.06.2024, 30/31.07.2024, 17/18.09.2024, 06/07.11.2024, 17/18.12.2024.

Quelle: Federal Reserve, EZB

Fazit 1: Was Leitzinssenkungen für Anlegerinnen und Anleger bedeuten

Die mögliche Änderung (Senkung) von Leitzinsen in diesem Jahr, kann weitreichende Auswirkungen auf alle Anlageklassen haben. Sinkende Zinsen sind gewöhnlich positive Signale für die Aktienmärkte. Denn Unternehmen können sich günstiger finanzieren, Investitionen können wieder leichter angestoßen werden. Insgesamt wird das wirtschaftliche Umfeld von Unternehmen positiv beeinflusst, die Aussicht auf (weiter) steigende Unternehmensgewinne besteht und wurde in der Vergangenheit tendenziell durch Kursgewinne an den Aktienmärkten reflektiert. Zudem sinkt die relative Attraktivität von Anleihen im Vergleich zu Aktien. Denn neu begebene Anleihen dürften wieder mit geringeren Kupons (Zinsversprechen) ausgestattet sein, wenn die Leitzinsen sinken.

Allerdings haben von einem nennenswerten Niveau sinkende Zinsen auch positive Aspekte für Anleiheinvestoren. So können am Sekundärmarkt gehandelte Anleihen zwischenzeitlich Kursgewinne erzielen, wenn sie aufgrund ihrer im Vergleich zu Neuemissionen höheren Kupons verstärkt nachgefragt werden. Auch als Stabilitätselement in der Portfoliostrategie können Anleihen ihre Rolle im Umfeld sinkender Zinsen wieder ausfüllen (anders als beim Zinsanstieg nach den Nullzinsjahren).

Tendenziell kann ein sinkendes Zinsniveau auch Werten aus dem Immobiliensektor helfen. Kreditfinanzierung hat hier ein großes Gewicht – und die wird mit niedrigeren Zinsen erleichtert.

Fazit 2: Unterschiedliche Szenarien beachten

Natürlich können Zentralbanken nur ihren Teil zur wirtschaftlichen Gesamtentwicklung beitragen. Und auch die Wirkungen ihrer Entscheidungen werden zwar grundsätzlich wie oben beschrieben, aber je nach Szenario leicht abweichend sein. 

  1. Ökonomen halten es für durchaus wahrscheinlich, dass größere Wirtschaftsräume im Jahr 2024 durch eine Rezession gehen. Wenn diese mild und kurz ausfallen sollte, könnten Zinssenkungen zur Attraktivität von Aktien in der oben beschriebenen Weise beitragen. Zyklische Sektoren sollten dann aber gemieden werden. Gerade aktive Fondsmanager können aber in diesem Szenario Aussichten auf positive Aktienrenditen eröffnen. Auf der Anleihenseite könnten zumindest kurz bis mittelfristig weniger risikobehaftete Bereiche im Vorteil sein. 
  2. Sollte die Rezession länger und tiefer ausfallen, könnten auch die Impulse der Zentralbanken zu größeren Teilen verpuffen und viele der wesentlichen Anlageklassen in Mitleidenschaft gezogen werden. Nur noch wenige Titel am Aktienmarkt könnten auf konstante oder gar steigende Gewinne verweisen. Bei Anleihen geringerer Bonität könnte eine erhöhte Ausfallrate zur Vorsicht mahnen.
  3. Sollte bei gleichzeitig sinkender Inflation eine Rezession vermieden werden können, erhalten Aktien wieder mehr Rückenwind. Neben den inflationsbedingt möglichen Zinssenkungen mit den positiven Effekten auf die Investitionstätigkeit, wäre dann auch eine anziehende Verbrauchernachfrage ein stützender Faktor für die Unternehmensgewinne und damit die Kurse von Aktien. 

Tipp: Anzeichen für Zinsentwicklung und Wirtschaftsszenarien beobachten

  • Inflation (insbesondere Kerninflation)
  • Arbeitslosenquote
  • Konjunkturentwicklung
  • Konjunkturelle Frühindikatoren (Auftragseingänge, Einkaufsmanagerbefragungen…)
  • Staatsverschuldung

Wer bei Anlageentscheidungen die genannten Größen im Blick behält, kann diese besser auf möglicherweise richtig antizipierte Zinsentscheidungen und wirtschaftliche Szenarien abstimmen.
 

Fußnoten:

1 dpa-infocom, dpa:231214-99-293245/1
2 Statista, Jan. 2024
3 Fed tastet sich an Zinssenkungen in 2024 heran, morningstar.de, 14.12.2023
4 Statista, Bureau of Labor Statistics (bis.gov), Dezember 2023
5 Tagesschau.de, „Warum Biden über den Öl-Boom kaum spricht“, 9. Januar 2024
Eurostat, 5.1.2024
7 Statistisches Bundesamt, 4. Januar 2024
8 Faz.net, 2. Oktober 2023
9 Bureau of Economic Analysis, 21.12.2023
10 Eurostat, 5.1.2024
11 Tagesschau.de, 9.1.2024
12 International Monetary Fund (imf.org), Abruf 9.1.2024

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