Die Zentralbanken zu beiden Seiten des Atlantiks haben die Leitzinsen gesenkt. Die Fed ging dabei einen größeren Schritt. Was heißt das für die Anlagemärkte? Und was bedeutet das Extra, das die EZB nun in Kraft setzte?
Die letzte Woche hatte es in sich. Nach der EZB war es auch für die Fed Zeit für richtungsweisende Zinsentscheidungen. Wie die Zinssenkungen aufgenommen wurden, wie es weitergehen kann und was es mit der Annährung von Einlagesatz und Hauptrefinanzierungssatz durch die EZB auf sich hat – hier für Sie im Überblick.
Später, aber schwungvoller – Richtungswechsel bei der Fed
Es war im Vorfeld der Entscheidung des Offenmarkt-Ausschusses viel spekuliert worden. Nach den Ankündigungen von Fed-Offiziellen gingen die Märkte zwar gesichert von einem Beschluss zur Leitzinssenkung aus – fraglich war allerdings die Höhe. 0,25% wären ein „normaler“ Schritt gewesen, doch auch 0,5% wurden diskutiert. Prominente Ökonomen wie der Nobelpreisträger Paul Krugman machten sich sogar für eine noch drastischere Zinssenkung stark.1
Nach der Tagung der Fed am 18. September stand die Entscheidung fest: 0,5%. Erstmals seit 2005 gab es dabei im 19-köpfigen Entscheidungsgremium eine Gegenstimme. Fed-Gouverneurin Michelle Bowman, die schon früher ihre Sorge um die fortbestehende Inflation zum Ausdruck gebracht hatte, stimmte dagegen.2 Dennoch: Mit diesem Schritt in XL-Größe will die Fed nach eigener Aussage nun vor allem die Entwicklung am Arbeitsmarkt in den Fokus nehmen, den zweiten Teil ihres Mandates. Hier hatten sich die Zahlen verschlechtert. Aufgrund der im Vergleich zu Europa kurzen Kündigungsfristen für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in den USA war die Sorge innerhalb der Fed offenbar groß, hinter die Kurve zu fallen. So betonte auch Fed-Chef Jerome Powell, dass die Wirtschaft zwar noch in guter Verfassung sei, man aber rechtzeitig auf die Entwicklungen am Arbeitsmarkt reagieren wolle.3
Nach vorn blickend stellte Powell weitere Zinssenkungen bei den beiden Sitzungen in diesem Jahr als Möglichkeit in Aussicht, ohne sich auf einen Pfad verbindlich festzulegen.4 Auch im Jahr 2025 erwarten die Experten der Fed möglicherweise weitere Zinssenkungen.
Für die Anlagemärkte auf Aktien- wie auch auf Anleiheseite wird der deutliche Zinsschritt allgemein als positives Signal gewertet. Im späten Handel am Tag der Entscheidung gaben die Kurse für US-Aktien nach kurzen Zugewinnen zwar leicht nach und US-Anleihen schlossen nur leicht ins Plus.5 Es wird aber zumindest kurz- bis mittelfristig damit gerechnet, dass die Märkte das Signal positiv aufnehmen werden.
Änderung im Währungsgefüge?
Die Fed gibt bei der Leitzinssenkung nach spätem Start nun das Tempo vor. Mit einer Absenkung im 0,5% liegt sie nun gleichauf mit der EZB und könnte die weiteren Schritte womöglich noch entschlossener setzen. Eine Abwertung des US-Dollar gegenüber anderen Währungen und insbesondere dem Euro ist damit nicht auszuschließen. Der Effekt wäre für die Währungshüter der Fed mit ihrem auf wirtschaftliche Prosperität gerichteten Teilmandat durchaus erwünscht. Die Preise für Importe würden steigen, heimische Güter für US-Verbraucherinnen und Verbraucher somit relativ attraktiver. Die US-Exportwirtschaft bekäme währungsseitig Rückenwind.
Für die Eurozone wäre der Effekt umgekehrt: Exporte aus Europa würden in vielen Absatzmärkten teurer. Andererseits würde ein schwächerer Dollar bei den Energiekosten entlasten, da die meisten Rohstoffe in US-Dollar gehandelt werden.
EZB: Mit -0,25% die Erwartungen erfüllt
Die EZB hatte den Zinssenkungszyklus für die Eurozone bereits im Juni und damit früher eingeleitet als die Fed. Am 12. September entschied der EZB-Rat mit einstimmigem Votum über den nun zweiten Zinssenkungsschritt. Die Leitzinsen wurden um 0,25% gesenkt. Aufgrund der nachlassenden Inflation einerseits und der schwächelnden Konjunktur in der Eurozone andererseits war dieser Schritt in der Wirtschaft und an den Anlagemärkten erwartet worden.
Entsprechend wohlwollend fielen die Kommentare für die zuvor oft gescholtene EZB aus. Ifo-Präsident Clemens Fuest bezeichnete zum Beispiel die Zinssenkung als „vertretbar“.6 Friedrich Heinemann vom ZEW-Institut, das als Leibniz-Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung der Universität in Mannheim angegliedert ist, ging sogar noch weiter: „Diese Zinssenkung war zwangsläufig.“7
Bezüglich der „Forward Guidance“, wie und wann es mit Zinssenkungen weitergeht, hielt sich EZB-Chefin Christine Lagarde ausdrücklich bedeckt, anders als ihr Kollege Powell in den USA. Ob es bei den beiden noch in diesem Jahr anstehenden Sitzungen des zinsentscheidenden EZB-Rats im Oktober und Dezember zu weiteren Zinsschritten kommt, ist damit offen. Christine Lagarde wies besonders darauf hin, dass die Inflationsraten im Dienstleistungssektor noch über 4% liegen: „Das kann nicht zufriedenstellen“.6 Dies wurde auch als Signal gewertet, nicht zu sicher mit weiteren Zinssenkungen in kurzer Folge zu rechnen.
Die Anlagemärkte auf Aktien- und Anleiheseite reagierten auf den EZB-Zinsschritt von 0,25% eher ruhig. Denn er war in dieser Höhe erwartet und eingepreist. Vor dem Hintergrund der ausdrücklichen Nicht-Festlegung der EZB gehen die Meinungen und die Vorhersagen und Erwartungen über den weiteren Kurs der EZB weit auseinander. Weitgehende Einigkeit besteht bei Expertinnen und Experten allerdings darin, dass von der September-Zinssenkung noch kein entscheidender Schub für die schwächelnde Wirtschaft der Eurozone ausgehen dürfte.
Das Extra der EZB: Spread zum Hauptrefinanzierungssatz signifikant verringert
Schon länger angekündigt und nun durch den EZB-Rat ab 18. September in Kraft gesetzt: Der Abstand zwischen dem Einlagezinssatz und dem Hauptrefinanzierungssatz der EZB verringert sich um 0,35 Prozentpunkte. Damit können sich Geschäftsbanken aktuell bei der EZB Geld für 3,65% statt bisher 4,25% Zinsen leihen. Der Spread zwischen Einlagezins (aktuell bei 3,5%) und dem Hauptrefinanzierungssatz verringert sich dabei auf 0,15 Prozentpunkte. Warum ist das wichtig?
Bis zu Beginn der Nullzinsphase vor rund zehn Jahren galt der Hauptrefinanzierungssatz noch als Größe, die als Leitzins zitiert wurde. Er legt die Zinsen fest, zu denen sich Geschäftsbanken Kapital bei der EZB leihen können. In Zeiten knappen Kapitals ist er damit entscheidender Steuerungsfaktor für die Höhe der Zinsen bei den von den Geschäftsbanken ausgereichten Unternehmens- und Verbraucherkrediten. Mit Beginn der Nullzinsphase und der Liquidität im Überschuss rückte der Einlagesatz der EZB ins Zentrum des Interesses und wird als Leitzins häufiger zitiert. Der Grund: Er gibt gewissermaßen ein unteres Niveau für die Zinsen vor, die Privatpersonen und Unternehmen für Bankkredite zahlen müssen. Denn es muss für die Geschäftsbanken attraktiver sein, Kapital als Kredit zur Verfügung zu stellen, als es verzinst und risikofrei bei der EZB einzulegen.
EZB plant Liquidität voraus
Aktuell und noch auf mittlere Sicht befinden wir uns in einer Phase des Umbruchs. Nicht nur die Richtung der Zinsschritte hat sich 2024 umgekehrt. Auch ein anderer für Wirtschaft und Kapitalmärkte wichtiger Faktor ist seit 2023 auf dem Weg immer schnellerer Veränderung: Nach Jahren des Anwachsens aufgrund von Wertpapierkäufen im Rahmen verschiedener Hilfsprogramme beginnt die Bilanzsumme der EZB inzwischen wieder planmäßig zu schrumpfen (siehe Grafik).
Bilanzsumme der EZB schrumpft wieder – Liquidität wird den Märkten entzogen (Grafik auch zum Download verfügbar)
Wertpapiere, die von der EZB zu geldpolitischen Zwecken gehalten werden (in Milliarden Euro) und ihre Zuordnung zu den einzelnen Programmen Quelle: EZB, „Annual Accounts of the ECB, 2023“, 2024
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Bilanzsumme der EZB schrumpft wieder – Liquidität wird den Märkten entzogen
Diese Grafik wird Ihnen unentgeltlich zur Verfügung gestellt. Bei einer Weiterverwendung obliegt es allerdings Ihnen sicherzustellen, dass alle gesetzlichen Anforderungen in diesem Zusammenhang erfüllt sind. Die FIL Fondsbank GmbH (FFB) übernimmt dafür keine Haftung.
Der Hintergrund: Zu den inzwischen üblichen Methoden der Geldpolitik der Zentralbanken gehört der Aufkauf von Wertpapieren, meist Anleihen. Dabei ging es in den vergangenen Jahren im Grunde immer darum, Geschäftsbanken und der Wirtschaft in ökonomischen Extremsituationen ausreichenden Zugang zu Liquidität zu ermöglichen. Jüngstes Beispiel ist PEPP (Pandemic Emergency Purchase Programme), bei dem als Pandemie-Notfallankaufprogramm in Corona-Zeiten zeitlich befristet Anleihen öffentlicher und privater Schuldner von der EZB erworben wurden. Der Effekt des Kaufs: Die Bilanz der EZB wächst an. In gleichem Maße wird von der Zentralbank Geld in den Wirtschaftskreislauf gepumpt. Denn die Anleihen werden in der Regel von Geschäftsbanken gekauft, denen dann mehr liquides Kapital zur Verfügung steht.
Doch mit dem einmaligen Kauf ist es nicht getan. Da Anleihen unterschiedlicher Laufzeiten aufgekauft wurden, kommt es immer wieder zu Tilgungen. Damit fließt Geld aus dem Wirtschaftskreislauf zur EZB und Liquidität wird diesem „automatisch“ entzogen. Um den Effekt der PEPP- und anderer Aufkäufe zu stabilisieren, hat die EZB bislang eingenommene Tilgungsbeiträge daher in der Regel wieder angelegt. Bereits Ende 2023 hat der EZB-Rat allerdings beschlossen, die Wiederanlage der eingenommen Tilgungsbeträge aus PEPP-Wertpapieren ab Juli 2024 zu reduzieren. Ab Ende 2024 soll keine Wiederanlage mehr stattfinden.8
Mit der Umsetzung dieser Beschlüsse wird Liquidität immer schneller dem Wirtschaftskreislauf entzogen (schon im Jahr 2023 war der Wert zu geldpolitischen Zwecken von der EZB gehaltener Wertpapiere um 31,9 Mrd. Euro geschrumpft9). Vor diesem Hintergrund versucht die EZB nun vorzubauen. Denn der signifikant abgesenkte Hauptrefinanzierungssatz erleichtert es den Geschäftsbanken, sich liquide Mittel bei der EZB zu beschaffen und diese der Wirtschaft zur Verfügung zu stellen. So jedenfalls die Überlegung des EZB-Rates – ob und wie weit sie aufgeht, wird zu beobachten sein. Und das ist auch für Anlegerinnen und Anleger interessant. Denn die Anlagemärkte profitieren seit Jahren von der reichlich vorhandenen Liquidität. Gerade ein schnelles Zurückfahren könnte daher perspektivisch bremsende Wirkung auf Nachfrage und damit auf die Kurse an den Wertpapiermärkten entfalten.
Fazit
Beide großen westlichen Zentralbanken gehen nun im Gleichschritt in Richtung Zinssenkung voran. Für beide bestehen aber weiterhin Unsicherheiten in Bezug auf die Inflations- und Konjunkturentwicklung. An den Anlagemärkten wird daher weiterhin sehr genau registriert werden, wie stark und wie schnell die Leitzinsen tatsächlich weiter sinken.
Deutlichere Zinsschritte könnten den Kursen an Aktien- und Anleihemärkten Auftrieb geben, sofern sie nicht als Zeichen übergroßer Zweifel an den Konjunkturaussichten gewertet werden. Die Volatilität der Märkte im Spannungsverhältnis zwischen Zinshoffnung und Konjunkturbefürchtung dürfte daher auch bis ins neue Jahr erhalten bleiben.
Wesentlich langfristiger ist die Weichenstellung der EZB durch die Verringerung des Spreads zwischen Einlage- und Hauptrefinanzierungssatz gedacht. In der spontanen Reaktion der Märkte hat das keine Wirkung gezeigt. Die Frage ist, ob die Rechnung der EZB aufgeht und die Geschäftsbanken die erleichterten Möglichkeiten nutzen werden, um mehr Liquidität bereitzustellen, ein wesentlicher Treiber für die Wertpapierkurse.
Quellen:
1 nzz.ch, „Das Ende einer Ära: Die US-Notenbank senkt erstmals seit Corona ihren Leitzins“, 18.09.2024
2 cnn.com, „Key takeaways from the Fed’s decision to deliver a jumbo-sized interest rate cut“, 18.09.2024
3 Nytimes.com, „Fed Announces Big Rate Cut“, 18.09.2024
4 cnn.com, „Key takeaways from the Fed’s decision to deliver a jumbo-sized interest rate cut“, 18.09.2024
5 cnbc.com, „Fed slashes interest rates by a half point, an aggressive start to its first easing campaign in four years“, 18.09.2024
6 Handelsblatt.com, 12.09.2024
7 Tagesschau.de, 12.09.2024
8 https://www.bundesbank.de/de/aufgaben/geldpolitik/geldpolitische-wertpapierankaeufe/pandemic-emergency-purchase-programme-pepp--830356
9 EZB, „Annual Accounts of the ECB, 2023“, 2024
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