Vergleiche zu Chinas Anspruch auf Taiwan werden nach Russlands Einmarsch in der Ukraine immer wieder gezogen. Dabei wären die Folgen für die Weltwirtschaft komplett andere: In der Ukraine geht es um die fossile Vergangenheit, in Taiwan um die digitale Zukunft.

Spätestens seit Sommer dieses Jahres haben Vergleiche des Russland-Ukraine-Konflikts mit den Spannungen zwischen Taiwan und China Konjunktur. Vorläufiger Höhepunkt: Anfang August reiste die US-Spitzenpolitikerin Nancy Pelosi nach Taiwan, um den Präsidenten des Landes in Taipeh zu treffen. Es war ein umstrittener Besuch, der sogar in den eigenen Reihen Kritik auslöste und das aufgeheizte gesellschaftlich-politische Klima in den USA weiter befeuerte. Denn was wie ein gewöhnlicher Akt der Diplomatie klang, war eine offene Provokation gegenüber Chinas Staatsführung. Peking drohte in der Folge sofort mit Sanktionen. Gleichzeitig erinnerten chinesische Militärmanöver in den Gewässern um die Insel an die russische Mobilmachung an den Grenzen der Ukraine. 

Konflikte um die Ukraine und Taiwan: politisch vergleichbare Gründe

Tatsächlich haben beide Konflikte einen ähnlichen Ursprung. Genau wie Russland betrachtet auch die chinesische Regierung den Nachbarstaat als Teil des eigenen Hoheitsgebiets. Und genau wie Wladimir Putin sieht es Chinas Staatschef Xi Jinping als seine historische Aufgabe an, die Einheit der Großmacht wiederherzustellen. So jedenfalls die westliche Perspektive. 

Peking dürfte die Ausgangslage anders beurteilen. Immerhin ist die Ukraine als souveräner Staat anerkannt, während Taiwan zumindest auf völkerrechtlicher Ebene weiterhin zu China gehört. Für den Politikwissenschaftler und Sinologen Sebastian Heilmann steht fest, dass wir in den kommenden Jahren mit gewaltsamen militärischen Aktionen Chinas rechnen müssen. Die nächste Eskalationsstufe des Taiwan-Konflikts ist für ihn nur eine Frage der Zeit.1

Im Podcast unseres Kapitalmarktstrategen Carsten Roemheld mit Thomas Kleine-Brockhoff vom US-Thinktank German Marshall Fund of the US klang das Ende August ähnlich. Er geht davon aus, dass China aus der Lage in der Ukraine jedenfalls nicht den Schluss gezogen hat, dass es sich besser aus Taiwan fernhält: „Das heißt, auch in der Südchinesischen See haben wir es mit einer Zuspitzung zu tun. Die Gefahr nimmt zu und nicht ab.“ Und die Europäer sind nach seiner Analyse dringend aufgefordert, ihre Haltung in einem möglichen Krieg zu klären.

Wirtschaftliche Folgen: große Unterschiede

Auch wenn sich die beiden Konfliktfelder ihrem politischen Ursprung nach ähneln, wäre die wirtschaftliche Tragweite doch eine ganz andere. China lässt sich ebenso wenig mit Russland vergleichen wie Taiwan mit der Ukraine. Russland mag eine militärische Großmacht sein, spielt wirtschaftlich aber allenfalls im globalen Mittelfeld. Die Wirtschaftsleistung des Landes steht und fällt zudem mit dem Export von Öl und Erdgas – fossilen Rohstoffen also, von denen sich die Industriestaaten ohnehin verabschieden wollen. Mit dem Ausbau erneuerbarer Energien schwindet die Abgängigkeit des Westens von Russland. 

Der schwelende Konflikt um Taiwan steht unter gänzlich anderen wirtschaftlichen Vorzeichen. Als zweitgrößte Wirtschaftsmacht der Welt trägt China über 18 Prozent3 zum globalen Bruttoinlandsprodukt bei und ist nicht nur für Deutschland ein fast unersetzbarer Handelspartner. Über 60 Prozent4 der sogenannten Seltenen Erden, die unter anderem bei der Produktion von Elektromotoren, Solarmodulen und Windkraftanlagen zum Einsatz kommen, werden aus der Volksrepublik importiert. Diese Abhängigkeit lässt sich schwer auflösen. Gerade der Übergang zu erneuerbaren Energien hängt zu großen Teilen davon ab, ob China weiterhin zuverlässig die nötigen Rohstoffe dafür liefert. Käme es im Zuge eines Taiwan-Konflikts also zu Exportstopps, stünde die Zukunft der Energiewende auf dem Spiel – oder würde zumindest erheblich ins Stocken geraten.

Taiwan: Schlüsselrolle für Zukunftstechnologien

Dazu kommt die Schlüsselrolle Taiwans als Exportnation. Auf dem Inselstaat, der etwa die Fläche des Bundeslands Baden-Württemberg hat, wird aktuell jeder zweite Mikrochip weltweit hergestellt.5 Taiwan produziert zudem die modernsten Halbleiter der Welt – und ist aufgrund seines fortgeschrittenen technologischen Know-hows dabei fast konkurrenzlos. Schon jetzt ächzt die Wirtschaft unter einem Halbleiter-Mangel, der branchenübergreifende Produktionsstillstände erzeugt. Kriegsbedingte Lieferkettenprobleme würden diese Krise befeuern und vielen Zukunftstechnologien vorerst das Fundament rauben. 

Halbleiter: Taiwan mit Schwerpunkt im Top-Segment

Monatliche Fertigungsrate nach Strukturbreite

-

Stand: Dezember 2020
Quelle: IC Insights / Statista, 2022.

Fest steht: Die Weltwirtschaft ist auf Taiwans High-Tech-Sektor angewiesen – und das gilt auch für China. Aktuell ist nämlich die Volksrepublik selbst der wichtigste Handelspartner des kleinen Nachbarn. Über 42 Prozent der Exporte Taiwans wandern nach China und dazu gehören vor allem Mikrochips und Halbleiterprodukte.6

Fazit für die Anlageberatung

Der Ukraine-Konflikt hat allen politischen und wirtschaftlichen Akteuren in der westlichen Welt verdeutlicht, wie wichtig es ist, Abhängigkeiten von autokratischen Staaten zu reduzieren, um wirtschaftliche Stabilität und Resilienz zu sichern. Eine wichtige Lektion, die aber kaum helfen wird, sich auf einen möglichen Einmarsch Chinas in Taiwan vorzubereiten. Eine Eskalation dieses Konflikts würde den Westen nicht nur von der Gas-Zufuhr abschneiden, sondern in eine geostrategische Ausnahmesituation bringen. 

Auch wenn sich die Konfliktsituation zunächst noch nicht akut zuspitzen sollte, dürften Ergebnisse und Unternehmenserfolge künftig mehr denn je davon abhängig sein, wie gut es Unternehmen gelingt, ihre Lieferketten krisensicherer zu machen und sich auf ein „Decoupling“ der globalen Wirtschaft einzustellen. Der Konflikt zwischen China und Taiwan, mit seinen möglichen weitreichenden Folgen für Zukunftsindustrien aber auch die Energiewende weltweit, ist ein weiteres Indiz dafür. 

In Anlegerportfolios kommt es daher mehr denn je darauf an zu prüfen, ob die enthaltenen Fonds flexibel genug aufgestellt sind, die Gewinner von morgen zu identifizieren. Auf eine einfache Fortschreibung, bei der die Top-Unternehmen von heute auch in Zukunft in der ersten Reihe spielen, sollten sich Anlegende angesichts des enormen Umbruchspotenzials der politischen Konflikte nicht verlassen.

Quellen:

1 https://www.fidelity.de/fidelity-articles/themen-im-fokus/china-russland-taiwan-systemwettbewerb-welthandel/
2 https://www.fidelity.de/fidelity-articles/themen-im-fokus/usa-ukraine-taiwan-supermacht-biden-trump/
3 https://de.statista.com/statistik/daten/studie/167632/umfrage/anteil-chinas-am-globalen-bruttoinlandsprodukt-bip/ 
4 https://de.statista.com/infografik/27806/weltweite-reserven-und-minenproduktion-von-seltenen-erden/ 
5 https://www.wienerzeitung.at/nachrichten/wirtschaft/international/2157105-Taiwan-produziert-jeden-zweiten-Mikrochip.html 
6 https://www.dw.com/de/wie-abh%C3%A4ngig-ist-taiwan-von-china/a-62719805

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